Die Hochzeit der Bienenfresser – Erlebnisse am Kaiserstuhl

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Alles erinnert ein bisschen an das alte Volkslied „Die Vogelhochzeit“, denn von den Vögeln, die darin zur Hochzeit eingeladen werden, singen, jubilieren und pfeifen einige ihre Lieder als wir am Schneckenberg oberhalb von Achkarren unterwegs sind. Drosseln und Amseln rufen. In der Ferne ist ein Kuckuck zu hören. Als wir in den Weinbergen entlang laufen, ist ganz in der Nähe der dreisilbrige, dumpfe Ruf des Wiedehopfes zu hören und über uns zeigen schon einige Bienenfresser ihre tollen Flugkünste bei der Jagd nach Insekten. Welchem Vogelliebhaber würde da nicht das Herz aufgehen? – Alles in der ersten Stunde unseres Aufenthalts am Kaiserstuhl.

„Wenn es ein Tor ins Paradies gibt, dann kann man es sicher hier finden,“ schreibe ich in das Gästebuch unserer stylischen und supercoolen Ferienwohnung. Die Maisonette-Wohnung im Künstlerhaus und Atelier-Hof in Oberrotweil ist nicht nur ein ausgebautes Dachgeschoss. Das Bett ist über eine Stahltreppe und einen Steg, der wie ein Skywalk wirkt, erreichbar und steht an einem gläsernen durchsichtigen Boden. Alles wirkt wie eine Honeymoon-Suite auf einer glastransparenten Wolke – der siebte Himmel ist zum Greifen nahe und als Vogelliebhaber schwebe ich längst darin. Dabei ist festzustellen: Der Kaiserstuhl hat viel mehr zu bieten als bunte und seltene Vögel.

Da sind die netten Menschen, denen wir begegnen, freundlich zeigen sie uns die Wege und auch die kleinen Winzerdörfer haben diese liebenswerte Ausstrahlung. Nur den alten Winzer, der die neuen Triebe an seinem Weinstöcken kontrolliert, trauen wir uns nicht anzusprechen. Ob wir ihn verstehen würden, ist fraglich, denn der Dialekt der Kaiserstühler ist eine alemannische Mundart mit vielen regionalen Unterschieden, denen wir uns lieber mit freundlichen Gesten und Minen entziehen, ehe wir weiter den Weinbergweg entlang gehen und die Natur genießen.

Diese Natur wird immer wieder als „großer Garten“ beschrieben: Terrassen voller Weinstöcke, die Weinbergpfirsichbäume am Rande der Rebflächen tragen schon kleine Früchte und an den Wegrändern blüht der Klatschmohn so üppig wie kaum an anderen Orten. Unzählige andere Blüten gibt es an den eher trockenen, sonnenverwöhnten Lößhängen. Immer wieder raschelt es neben uns. Smaragdeidechsen schillern mit ihrer leuchtend grünen Farbe im Gewirr der Grashalme und Pflanzentriebe. Einige haben blaue Kehl- und Seitenbereiche, sind es Männchen im Hochzeitskleid? Kleine Bläulinge und große Tagfalter gaukeln über den weißen, gelben, blauen und roten Blüten.

Erstaunt bin ich, als ich an einigen Stellen die gelben Blüten der Schwertlilie entdecke. Ich wusste nicht, dass es neben den bekannten Sumpf-Schwertlilien noch über 20 weitere Arten gibt, von denen die Sand- und Zwerg-Schwertlilien auch auf Trockenrasen zu finden sind. Giftig sind sie wohl alle, aber ich will sie ja nur fotografieren.

Der Weg führt uns weiter zum Naturschutzgebiet Ebnet. Es ist ein Bereich mit Halbtrockenrasen und Buschwald. Trotz des hohen Grases entdecken wir Orchideen. Pyramidenartig staffeln sich die roten Blüten der Hundswurz, der lateinische Name passt fast besser: Anacamptis pyramidalis. An anderer Stelle entdecken wir die Blütenstände des Helm-Knabenkrautes. Orchis militaris lautet der lateinische Name und beschreibt damit die männchenförmigen hellpurpurnen Blütenblätter mit dem helmartigen „Kopf“. Wir erleben hier mit den vielfältigen Pflanzen die große Artenvielfalt einer durch extensive Nutzung entstandenen Kulturlandschaft.

Fasziniert von derartiger Blütenpracht seltener Orchideen und aufgrund von Hinweisen einiger Freunden machen wir einen Ausflug ins nahe gelegene Elsass. 40 Kilometer sind es bis zum Naturschutzgebiet am Bollenberg, wo uns Fliegenragwurz (Ophrys insectifera), Hummelragwurz (Ophrys fuciflora) und Bocks-Riemenzunge (Himantoglossum hircinum) begeistern. Die graugrüne Bocks-Riemenzunge ist für mich etwas Besonderes. Mit ihrem bandförmigen langen Mittellappen und leichtem Bocksgeruch überragt die Blütenkerze oft die anderen Pflanzen des Trockenrasens. Da wirken die Blüten der Ragwurzarten fast unbedeutend. Aber bei näherem Hinsehen ist die Blüte der Hummelragwurz wie eine Engelsgestalt. Kein Wunder, dass ich da wieder ins Träumen gerate.

Zurück zum Kaiserstuhl bleibt es märchenhaft: Wir wandern bei Bickensohl durch die einzigartigen Lößhohlwege. Der Ausspruch: “Durch diese hohle Gasse muss er kommen …“, ist durch Friedrich Schillers Drama „Wilhelm Tell“ bekannt, aber kaum jemand kann sich viel darunter vorstellen, da wir es gewohnt sind, freie, übersichtliche Verkehrswege zu nutzen.

Um die Entstehung der hohlen Gassen am Kaiserstuhl zu verstehen, ist es wichtig, die Entwicklung der dortigen Landschaft zu kennen. Diese begann vor rund 19 bis 16 Millionen Jahren durch eine lange Abfolge von Vulkanausbrüchen in der Region. Bis heute wurden die dadurch entstandenen Vulkanberge wieder durch die Erosionskräfte um mehrere 100 Meter abgetragen. Es entstanden damals weitgehend vegetationsfreie Gebiete, die während der Eiszeit durch Auswehungen aus dem Rheinschlamm mit Löß bedeckt wurden. Besonders im Lee der Berge entstanden so enorme Lößablagerungen. Heute ist der Kaiserstuhl weitgehend von quartärer Lößschicht bedeckt, die zwischen 10 Meter und 40 Meter beträgt. Erst durch die Jahrhunderte lange landwirtschaftliche Nutzung, durch Fuhrwege, Transport- und Handelswege wurden die Trassen im Löß ausgewaschen und immer weiter vertieft – es entstanden die Löß-Hohlwege.

„Die Hohlwege am Kaiserstuhl bilden ein wahres Labyrinth, in dem nur der Ortskundige sich nicht verirrt“, heißt es in alten Schriften. Heute weisen Wanderrouten-Schilder den Weg. Er beginnt für uns in Bickensohl. 13 Meter hoch sind die steilen Lößwände an beiden Seiten des Hohlweges. Es sind für uns beeindruckende Pfade, an denen es nur ein Vor oder Zurück gibt, denn senkrecht aufsteigende Wände begrenzen die Seiten – eine hohle Gasse, ohne wirklichen Ausweg. An vielen Stellen finden wir am Kaiserstuhl derartige Hohlwege. Viele sind inzwischen befestigte und asphaltierte Straßen. An den Seitenwänden erleben wir ein Blütenmeer aus rotem Klatschmohn wie zum Beispiel bei Amoltern.

Die steilen und an vielen Stellen kahlen Lößabbruchkanten weisen fast immer kleine Löcher auf. Vielfach sind es die Bruthöhlen der Bienenfresser, aber nicht alle sind besetzt.

Uns kommt ein älteres Ehepaar auf dem Weg zwischen den Weinhängen bei Achkarren entgegen.

„Im letzten Jahr gab es hier so viele Bienenfresser“, meinen sie und haben heute kaum bunte Vögel gesehen. Es sind offenbar kleinere Gruppen, die wir an einigen Stellen erleben. So kann ich sie an die sichere Beobachtungsstelle leiten, damit auch sie sich an den anmutigen Tieren erfreuen können. Dafür schwärmen sie von dem „flammenden Wald“ am Büchsenberg. Die Diptam-Blüte ist auf dem Höhepunkt. Da Diptam eine in ganz Mitteleuropa seltene Pflanze ist, in Deutschland als „gefährdet“ eingestuft wird und bereits 1936 unter Naturschutz gestellt wurde, sind wir noch am gleichen Tag auf dem Weg zum Naturschutzgebiet am Büchsenberg. Am Weingut St. Remigius vorbei führt die Straße zu einem kleinen Parkplatz. Von dort geht ein steiler Weg etwa 500 m weit bergauf. Aber schon auf der Hälfte beginnt ein lichter Flaumeichenwald und im Halbschatten der oft buschigen Eichen stehen fast bodenbedeckend die Pflanzen und Blütenstände des sonst so seltenen Diptam. Auch die Flaumeichen sind für uns bisher unbekannt. Sie sind offenbar ein Überbleibsel aus der Wärmeperiode der Eiszeit, denn sie brauchen warmes Klima, das sie an diesen Sonnenhängen vorfinden. Die kargen Böden sorgen dafür, dass sie nicht von den heute üblichen Pflanzen und Bäumen überwuchert werden. In den kleinen Lichtungen stehen die Blütenstände des Diptam dicht an dicht. Die giftige etwa ein Meter hohe Pflanze gehört zu den Rautengewächsen, zu denen auch die Zitronen gehören. Sie strömen einen Duft aus, der an Zitrus- und Zimtduft erinnert. Die ausströmenden ätherischen Öle sollen sich bei großer Hitze sogar selbst entzünden und so die Pflanze zum „brennenden Busch“ machen, ohne dabei selbst Schaden zu nehmen. Wir erleben die Pflanzen mit ihren weiß-rot gemaserten Blüten aber nur in ihrem feurig erscheinenden Aussehen.

Vieles erscheint für uns hier einfach schön und märchenhaft und das geht offenbar nicht nur uns so. Schon vor rund 100 Jahren wurde der Kaiserstuhl als „kleines Märchenreich“ und „die kleine heimliche Welt“ gepriesen.

Allerdings: So heimlich war das kleine Mittelgebirge offenbar nicht. Am 22.12.994 hielt der römisch-deutsche König Otto III bei Sasbach einen Gerichtstag ab. In der Folge wurde die Region als Königstuhl bezeichnet. Nachdem Otto III 996 zum Kaiser gekrönt wurde, entwickelte sich daraus der Name Kaiserstuhl. Allerdings wurde der Name Kaiserstuhl offiziell erst seit dem 13. Jahrhundert verwendet.

Auch dieser Geschichte haftet wieder etwas Märchenhaftes an und so begegnen wir wie so oft am Kaiserstuhl auch bei einer weiteren Erkundung märchengleichen Dingen. Dieses Mal ist es definitiv jedoch kein Märchen, sondern Realität.

Der Rückweg nach Oberrotweil führt uns nämlich direkt an der Bickensohler Weinvogtei vorbei. Für uns öffnet sich ein neues Tor in eine Märchenwelt aus Weißem Burgunder, Grauem Burgunder, Spätburgunder, Gewürztraminer, Muskateller und Scheurebe …Eine wahre Märchenwelt für unsere Gaumen. Nicht umsonst gilt die Rebe als die heilige Pflanze am Kaiserstuhl.

Für uns wird es langsam Zeit, den Bienenfressern mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich sind sie für uns immer noch die Hauptattraktion am Kaiserstuhl. Durch den Klimawandel heißt es, dass sich die bunten Vögel inzwischen in kleinen Gruppen in allen Bundesländern Deutschlands angesiedelt haben. Aber am Kaiserstuhl brüten sie inzwischen auch in größeren Kolonien.

Eigentlich sieht der amselgroße Vogel eher aus wie ein bunter Papagei und tatsächlich stammt er ursprünglich auch aus den Tropen und Subtropen. Seine gelbe Kehle ist schwarz abgesetzt, der Rücken ist kastanienbraun bis orange und der Bauch leuchtet türkisfarben. Er ist einer der farbenprächtigsten Vögel Europas, der sein Winterquartier südlich der Sahara hat. Die Hauptnahrung besteht aus großen Insekten, dazu gehören auch die mit Gift und Stacheln bewehrten Bienen, Wespen und Hornissen. Die giftigen Insekten werden mit langem, spitzen Schnabel durchgeknetet und an der Sitzwarte abgeschlagen, bis sie den Vögeln nicht mehr gefährlich werden können.

Beim Paarungszeremoniell überreicht der Bräutigam der Auserkorenen ein möglichst großes, schmackhaftes Insekt. Nimmt sie es an, ist sie paarungsbereit. Wir beobachten das Ritual gleich mehrere Male und sind glücklich.

Für uns hat das Märchen vom Kaiserstuhl hier seinen Höhepunkt gefunden.