Deutschland – Am Rande der Stadt – Abenteuer Siegaue

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Seit Tagen sind wir unterwegs, zunächst per Flugzeug, dann mit dem Auto. Zu Fuß mit Rucksack geht es weiter – unterwegs in den entlegenen Schutzgebieten und den wilden Naturparadiesen, die wir so lieben. Man kennt sie fast besser als die Naturoasen in der Nähe und so sind wir schon tage- oder gar wochenlang durch die Naturlandschaften der Camargue in Südfrankreich, der Coto de Doñana in Südspanien, durch die Nationalparks in den USA, Kanada und Alaska oder die Regenwälder Südostasiens zum Beispiel auf Sulawesi gereist. Aber kennen wir das, was direkt vor unserer Haustür liegt?

Dieses Mal ist es anders als oben beschrieben: Unser Ziel liegt gerade 13 km entfernt, nur 13 Minuten Autofahrt. Unser Ziel ist die Sieg mit der Siegaue und Siegmündung in den Rhein bei Mondorf. Es werden spannende Erkundungen eines Landschaftsraumes direkt vor unserer Haustür.

Wieder einmal fallen mir die Zeilen aus einem meiner Lieblingsbücher ein (Helmut Drechsler; Teichsommer): „Der plätschernde Bach in der Wiese (…) hat uns schon als Kinder besonders angezogen, und das Wasser, das leise wogende, zieht uns auch heute noch in seinen Bann. Versunken sind die Märchen von den Nixen“, aber geheimnisumwittert und undurchdringlich ist die weite Auenlandschaft mit ihren hohen Weiden noch heute. All diese Gedanken und Erinnerungen schwingen mit, wenn ich – noch in Gedanken an die kurze Anfahrt – an das blaue, leise plätschernde Band der Sieg heran trete.

Das Naturschutzgebiet Siegaue gehört zum Gebiet der Stadt Niederkassel und liegt zwischen den Städten Bonn, Sankt Augustin und Troisdorf. Es ist eine strukturreiche Flussauenlandschaft, die 535 ha groß im Jahr 1985 als Naturschutzgebiet ausgewiesen worden ist. Mit dem Bonner Naturschutzgebiet Siegmündung, das bereits 1983 mit einer Größe von 150 ha unter Schutz gestellt worden ist, stellt es einen Flussmündungsbereich dar, der mit dem Ahrmündungsgebiet von herausragender Bedeutung ist. – So weit die nüchternen Zahlen und Fakten, aber die Erlebnisse sind ganz anderer Art:

Es ist noch zeitig im Jahr, die Bäume sind noch nicht belaubt, als wir unsere Erkundungen dieser Landschaft beginnen. Schnell verlassen wir die hektischen Bereiche der Rheinuferpromenade mit der Anlegestelle der Mondorfer Rheinfähre und wenden uns dem kleinen Hafenweg zu. Noch scheint es im Mündungsgebiet der Sieg ruhig zu sein, noch sind kaum Vogelstimmen zu hören.

Aber wir entdecken einige große graue Vögel in den Baumwipfeln. Hoch über uns zeigen große Zweigbüschel an, dass wir eine kleine Graureiher-Kolonie über uns haben. Ein raues Krächzen belegt, dass es noch Streitigkeiten um die besten Plätze gibt. Die Balz der Graureiher ist schon vorbei, jetzt ist es an der Reihe, die großen Nisthorste zu erneuern oder weiter auszubauen. Immer wieder kommen Reiher herbei geflogen mit dürren Zweigen im Schnabel und das Krächzen schallt zu uns herunter. Noch sind die Bäume nicht belaubt, so dass wir die Horste zählen können. Es sind bis zu 16 Nester in einer Baumkrone. Plötzlich entdecken wir, dass viele der Horste schon besetzt sind und die Reiher brüten. Die grauen Vögel sind aus unserer Perspektive nur schwer zu erkennen, sie ducken sich auf ihr Gelege, vielleicht schlafen sie auch in ihrem sonnigen Zweigbett.

Als wir das nächste Mal wieder an der Reiherkolonie sind, treiben schon die Bäume ihr erstes Grün aus den Knospen. Die dreiwöchige Brutzeit der Reiher ist vorbei und jetzt gibt es noch eine besondere Situation, die wir erleben. Sie ist etwas delikat. So möchte ich die Situation nicht mit eigenen Worten beschreiben, sondern mit den Worten des berühmten Alfred E. Brehm (Brehms Tierleben, 19. Bd. Hamburg 1927): „Die Jungtiere sind“, so schreibt es Brehm, „hässliche Geschöpfe, die von einem beständigen Heißhunger geplagt zu sein scheinen (…) Bäume und Boden werden vom Kot der Vögel weiß übertüncht, alles Laub verdorben, faulende Fische verpesten die Luft, kurz, es gibt hier wie NAUMANN sagt (Johann Friedrich NAUMANN, Deutscher Ornithologe, Begründer der Vogelkunde in Mitteleuropa, 1780-1857) “der Unfläterei und des Gestankes viel“. In unserer kleinen Brutkolonie ist es noch nicht ganz so schlimm, aber auch hier sind die weißen Kotstellen nicht zu übersehen und ein ätzender Duft liegt in der Luft.

Mich erinnert das an die großen Vogelkolonien an den Felswänden in Skandinavien, Island und der Arktis. Oder an die größte Kormoran- und Reiherkolonie auf der Kurischen Nehrung in Litauen. Rund 3700 Horste, d. h. ca. 11.000 Vögel mit Jungen laden hier ihre Exkremente ab, dass ein über ein Hektar großer toter, weißer, stinkender Wald entstanden ist.

Ich bin mit meinem Teleobjektiv und der Kamera so beschäftigt, dass ich all das nur am Rande mitbekomme. An die Kurische Nehrung oder die Vogelfelsen der Arktis ist nicht zu denken, denn über uns streiten sich gerade drei Jungvögel über die besten Happen Fisch, die der Altvogel eben vorbei gebracht und ausgewürgt hat. Es ist spannend und faszinierend, mitten in der „Stadt der Vögel“ zu sein und in ihre Wohnzimmer zu schauen.

Nur Anke wird es langsam kalt, trotz des sonnigen Wetters, es sind gerade 11 Grad Celsius und der ätzende Duft …Es wird Zeit zum Weitergehen – Sieg aufwärts.

Weit kommt man nicht, dann holt einen die Vergangenheit ein.

Im Fluss liegt ein alter Aalschokker, die „Maria Theresia“. Der historische Flachbodenfrachter aus den Jahren 1893/94 liegt im seichten Wasser und bietet ein malerisches Bild vor der noch braunen Kulisse der Bäume und Sträucher in der Siegaue. Schokker waren bis ins 19. Jahrhundert in den Niederlanden gebräuchliche Fischereisegelschiffe, die vor allem in der Zuidersee vorkamen. Von der dortigen Insel Schokland leitet sich auch der Name des Bootstyps ab. Charakteristisch ist der große Schwenkarm, der Schokkerbaum, an dem das Schleppnetz für den Fischfang im Wasser entlanggezogen wurde. Der Aalfang hier im Rhein und in der Siegmündung wurde an verschiedenen Orten bis in die 50er Jahre betrieben, aber erst in den 1980er Jahren wurde diese Fischerei hier endgültig eingestellt. Es wurde zu gefährlich, denn die Schokker wurden in den Fluss geschleppt und dort verankert. Mit dem Schokkerarm wurde das Netz über Seilwinden ausgebracht und später wieder eingeholt. Die zunehmende Nachtschifffahrt machte diese Fangmethode offenbar zu gefährlich. Nur an der Weser gibt es nach den vorliegenden Angaben noch die letzten Berufsfischer und Aalschokker bei Schlüsselburg.

Es sind immer wieder die einfachen Methoden der Primärwirtschaft, die mich so beschäftigen und zugleich in ihren Bann ziehen – heute nicht mehr zeitgemäß, nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben oder einfach von der Zeit überholt – und dennoch stehen wir fasziniert am Flussufer. Es ist eben nicht nur „die Fischerin am Bodensee, (…) eine schöne Maid, juchee …“, die uns ins Traumland lenkt. So träumen wir uns beim Blick auf den alten im Wasser dümpelnden Schokker in historische Zeiten und Geschichten hinein. Im Fischereimuseum der Bruderschaft zu Bergheim lässt sich das alles noch vertiefen.

Aber wir bleiben lieber – gedanklich – bei den Fischen, denn diese bergen bis heute noch ungelöste Geheimnisse, insbesondere die Aale. Diese zählen zu den katadromen Wanderfischen, das heißt, sie wandern zum Laichen vom Süßwasser bis ins Meer. 5000 bis 7000 Kilometer wandern sie gesteuert

durch eine innere Uhr aus den Flüssen abwärts ins Meer. Einbis drei Jahre benötigen sie, um in ihre Laichgewässer, die Sargassosee bei den Bermudainseln zu gelangen. Die kleinen aus den Eiern geschlüpften Larven wandern wie von Geisterhand gelenkt als Silber- oder Blankaale zurück in die Flüsse ihrer Vorfahren, wo sie heranwachsen und den größten Teil ihres Lebens verbringen, ehe sie wieder die lange Reise über die Meere antreten. Wie sie es schaffen, die richtigen Routen zu finden, ist bis heute nicht endgültig geklärt. – Und was fast ebenso merkwürdig erscheint ist, dass das Blut dieses hervorragenden Speisefisches giftig ist! Aber es ist nicht der einzige giftige Süßwasser-Speisefisch: Da ist zum Beispiel der Wels.

Am 04. Mai bekomme ich eine WhatsApp als Bilanz einer 3-stündigen Angeltour: „ Null Fische am Haken, einen Karpfen auf dem Hin- und Rückweg getroffen, einen deutschen Riesenwels(ca. 1,2 m lang) vor den Füßen gehabt, andere Angler haben vom Ufer eine 70cm Barbe vor unseren Augen rausgeholt.“

Am 23.Mai erhalte ich folgende Nachricht:

„ Ein Freund war 5 Tage am Stück am Rhein auf Wels angeln. Er hat 8 Stück gefangen. 3 davon über 2 m. Der größte war 2,37 m!!“ – Sicher war dieser Wels nicht mehr zum Essen geeignet wie die kleineren Exemplare. Aber auch das Blut dieser Fische ist giftig.

Und das Geheimnis der Barbe? Um die Nachkommenschaft zu sichern, ist das Laich der Barbe giftig. Deshalb ist dieser Fisch während der Laichzeit von Mai bis Juli ungenießbar und sogar giftig.

Bei solchen Schauergeschichten wenden wir uns lieber wieder dem Fluss zu. Oder wir denken an die ebenfalls katadromen Wildlachse, die es wieder in der Sieg gibt.

Bei Rheinkilometer 659,2 mündet die 155,2 Kilometer lange Sieg bei Mondorf in den Rhein. Entsprungen im Rothaargebirge beschreibt das Deutsche Flusswanderbuch die Sieg als Wanderfluss ohne besondere Schwierigkeiten, der durch ein landschaftlich reizvolles Tal mit bewaldeten Höhen fließt. Wir kennen die Sieg aus der Paddlerperspektive von vielen Touren. Denn auch für Paddler hat die Sieg ihre Reize. Sie macht bei gutem Wasserstand ihrer Namensherkunft alle Ehre: „Sikkere“, was so viel bedeutet wie “schnelles Wasser“, ein Schwimmer kommt nur schwer gegen die Strömung an. Aber jetzt steckt für uns der besondere Reiz im Erleben der letzten zwei Kilometer vor dem Rhein. Diese Auenlandschaft hat es uns angetan.

Gemessen an unseren Frühjahrserkundungen durchwandern wir jetzt Ende April eine grüne Oase mit zugewucherten Wegen, Trampelpfaden und offenen Brennesselflächen zwischen hohen Baumgruppen. Der lichte Auenwald ist voller Vogelleben. Es sind nicht nur die häufigen Blau- und Kohlmeisen, die lautstark trällernden Zaunkönige und die Stare, die aus Gebüschen und Baumhöhlen auffliegen.

Mit lautem, schrillen Geschrei sind neue Gäste plötzlich über uns. Die Migranten kommen eigentlich aus Südasien und Afrika, sind aber schon seit langem in Europa eingeführt und sicher auch aus Vogelparks entwichen. Es sind Halsbandsittiche oder Alexandersittiche. Diesen Namen tragen sie, weil Onesikrit, ein Feldherr Alexander des Großen, die Edelsittiche von seinen Kriegszügen nach Indien mit nach Griechenland brachte.

Auch wenn die Papageien nicht so recht in unsere Klimazone passen, sind sie doch hier bei uns heimisch geworden. Der alte Brehm beschreibt sie als „ebenso anmutig gebaute wie zart und ansprechend gefärbte Vögel, die 35 – 40 cm groß sind, davon misst der Schwanz mehr als 25 cm.“ Die Färbung macht den Vogel zu einem wahren Versteckspieler, den man ohne sein gellendes, durchdringendes Geschrei kaum entdecken würde. Leicht ins gelblich ziehendes Grasgrün ist die Hauptfarbe des Federkleides, in der Wangengegend geht diese Färbung in ein zartes Lila oder Himmelblau über, das durch einen dunklen schwarzen Kehlstreifen und durch ein rosenrotes Band von dem Grün des Halses getrennt wird.

Bereits am 4. April haben wir die Halsbandsittiche bei der Hochzeit beobachtet. Wie ein echter Liebhaber überhäuft das Männchen die Gattin jetzt mit allen Zärtlichkeiten, die Papageien sich gegenseitig erweisen können. A. Brehm beschreibt es ganz liebevoll so: „Er schnäbelt und atzt sie, nestelt an ihrem Gefieder, umhalst sie förmlich, biegt sich darauf zurück, lüftet die Flügel und breitet den Schwanz …“ Es ist wahrlich ein Schauspiel, so dass es Freude macht, die exotisch anmutenden Vögel dicht über uns zu beobachten. Irgendwie haben wir sie gerne in diesem grünen Dschungel des Auwaldes, auch wenn wir nicht in den Tropen sind. Schon ein paar Wochen später sehen wir sie an den Höhlen der alten Weiden sitzen, denn sie sind wie die Blau- und Kohlmeisen, die Stare und die Spechte Höhlenbrüter. Aber die gibt es hier offenbar noch reichlich, und so entdecken wir bald auch besetzte Meisenhöhlen, Star- und Spechthöhlen.

Auwälder gehören noch zu den urwüchsigen Landschaftsräumen, die wir in unseren Regionen kennen. Viel zu selten gibt es noch diese natürlichen Pflanzengesellschaften entlang der Bäche und Flüsse. Sie werden von Überschwemmungen und hohen Grundwasserpegeln beherrscht und weisen hier eine ausgeprägte Weichholzzone auf, die auch insbesondere den Höhlenbrütern zu Gute kommt. Historische Karten der Siegaue zeigen, wie sehr die verschiedenen Wasserarme und Überschwemmungsbereiche den Landschaftsraum bestimmt und geformt haben.

Noch heute bestimmen an vielen Stellen die Altarme der Sieg das Bild und die seltsamen Bezeichnungen deuten auf die lange Geschichte hin: Oberste Fahr, Diescholl, Gyssel. Das Kemper Werth besaß im 30ig jährigen Krieg besondere Bedeutung: 1622 hatten sich die Holländer hier verschanzt und lieferten sich vergeblich Gefechte mit den später siegreichen Spaniern.

Heute ist von all dem damaligen Gemetzel zum Glück nichts mehr zu spüren. Die Sieg fließt friedlich und naturnah vor uns entlang. Streckenweise wurden als Uferbefestigung und zur Zähmung des „schnellen Wassers“ Steinschüttungen ausgebracht. An vielen Stellen sind natürliche Kiesbänke entstanden. dichte Ufergehölze aus Baumweiden, Weidensträuchern und Eschen sowie Uferstaudenfluren zeigen an vielen Stellen das Bild einer Auenlandschaft, wild und harmonisch zugleich, oft urwüchsig und geheimnisvoll.

Der Fluss ist in weiten Abschnitten durch die Basalt-Steinschüttungen am Ufer verunstaltet, aber immer wieder gibt es auch Prallhänge und steil abfallende

harte Uferkanten, die wir besonders im Auge haben: Es sind die Stellen, an denen die seltenen Eisvögel ihre Nisthöhlern graben.

Dass der von uns gewählte Beobachtungsplatz der Richtige ist, erkennen wir bald, weil die Eisvögel, die an einem Fluss leben, stets die selben Sitzplätze nutzen. „ Sitzfüßler … immer still, den Blick auf das Wasser gekehrt, mit Ruhe einer Beute harrend, kühl bis ans Herz hinan, so recht nach Fischers Art. Seine kleinen Füßchen“, sagt NAUMANN,“ scheinen nur zum Sitzen, nicht zum Gehen geeignet…“ (Brehms Tierleben, Bd. II, S. 29).

Wie ein smaragd-blauer Pfeil schießt der kleine Vogel mit lautem Piepen und schrillen Tönen

knapp über der Wasseroberfläche entlang und landet auf einem über das Wasser ragenden dürren Ast. Unversehens schießt er im Sturzflug ins Wasser, taucht wenige Augenblicke wieder auf und hockt sich auf seine Sitzwarte. Erst jetzt sehen wir: Er hat einen silbrig glitzernden Fisch quer im Schnabel. Mit einiger Mühe schafft er es, die Beute zu drehen, dass der Kopf des Fisches nach vorne zeigt. Da kein Eisvogel einen Fisch mit dem Schwanz zuerst verschlingt, denn er würde sich durch die aufgestellten Schuppen verletzen, wissen wir: Er hat Futter für seine Jungen im Schnabel. Pfeilschnell fliegt er wieder über das Wasser seiner Bruthöhle entgegen.

Auch beim meist flüchtigen Anblick dieses Vogels kann man sich kaum der Faszination entziehen: Der Eisvogel ist einer der prachtvollsten Vögel unseres Erdteils und es ist kein Wunder, dass er durch Fabeln und Märchen vielfach verherrlicht wurde. Ein sehr frühes Beispiel hierfür liefert der griechische Dichter Aesop bereits im 6. Jahrhundert v. Chr. Mit seinem Gleichnis „Der Eisvogel“. Es ist ein Gleichnis, das besagt, dass manche Menschen, die sich vor ihren Feinden schützen wollen, nicht merken, dass sie sich Freunden ausliefern, die noch viel schlimmer sind, als ihre Feinde.

Das Märchen „Der Eisvogel und die Krähe“ aus dem Süden Japans schildert den Eisvogel, japanisch Kuharo, als Kleiderdieb, welcher der Krähe das rote Kleid stielt, die seitdem als schwarzer und betrogener Vogel den Kuharo mit seinem roten Kleid jagt.

Das Warten am Fluss auf den richtigen Augenblick für eine gute Beobachtung läßt viel Zeit für Märchen und Sagen, die mich gedanklich, wie Kuharo zeigt, bis nach Ostasien führen. – Nur gedanklich?

Plötzlich ist Ostasien vor uns: In bunter Farbenpracht schwimmt ein Mandarinentenpaar vor uns auf der Sieg. Diese ursprünglich aus Ostasien und aus dem Amurgebiet stammende Entenart ist bei uns heimisch geworden. Es ist eine „Glanzente“. Der prächtig bunte Erpel ist so markant und einzigartig, dass man diese Entenart – einmal gesehen – nie wieder vergißt. Auch sie sind Höhlenbrüter und Baumhöhlen gibt es hier noch reichlich.

Ein paar Wochen später ist der Sommer eingezogen. Es sind Temperaturen um 30 Grad Celsius, obwohl es noch Juni ist. Die Nilgänse, Mandarinenten, Graugänse und Stockenten schwimmen in Familiengruppen

mit ihren Jungen auf dem Fluss. Auch sie genießen das kühle Nass der Sieg, schlagen mit den Flügeln und planschen im Wasser herum, dass es aufspritzt. Vögel können ihr Federkleid nicht ablegen, wie wir unsere Kleidung. Schwitzen, wie unser Körper es macht, ist bei ihnen deshalb nicht oder nur an wenigen ungefiederten Stellen möglich. So toben sie im Wasser umher, flattern mit den Flügeln, um sich Luft zuzufächern und Parasiten abzuschütteln – langsam wird es wohl auch für die Vögel sehr heiß, wie auch für mich hinter dem Teleobjektiv in der prallen Sonne.

Auf dem Fluss wird es dafür immer voller. Ein übergroßer rosaroter Schwan treibt vorbei – ein Gummiluftboot mit kreischenden Jugendlichen. – Es ist Badezeit und unser Beobachtungsplatz, an dem wir so viele Naturabenteuer erlebt haben, verwandelt sich in eine Natur-Freizeitanlage. Die Kiesbänke sind inzwischen voller Sonnenanbeter in Badehose und Bikini – die Sommerferien beginnen. Es ist Zeit für uns, zu verschwinden.

Es bleiben die Erinnerungen an chinesische Enten, südasiatische Papageien und europäische Kostbarkeiten – eine vielfältige Wildnis vor unserer Haustür am Rande der Stadt.

Foto R. Klein