Mexiko – Im Reich der Truthahngeier – Paddeln in der Baja California

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„Bien venidos“ – Willkommen in Rosa und Jacks Restaurant – „the best little Restaurant in Mexico“ prangt es neben der Pepsi-Reklame. Vor uns stehen Teller voll „Machaca“ – irgend etwas wie „zerquetschtes Fleisch“ – übersetzt Anke aus dem Wörterbuch. Drei Mexikanerinnen sind in der Küche am Braten, Backen, Kochen, nachdem wir unsere Bestellung aufgegeben haben – Frühstücken in Mexiko bedeutet: Festessen gleich nach dem Aufstehen.

Wir lassen uns gern verwöhnen, denn vor uns liegt alles andere als leicht bekömmliche Urlaubsfreude für Anke und mich, Sohn Nils, 12 Jahre, Tochter Nina, 4 Jahre, und unser „Baby“ – Freund Werner. Dabei sehen wir doch dem entgegen, was allgemein die Urlaubsfreuden garantiert: Sommer, Sonne, Strand und Meer.

Aber wir sind in der Baja California unterwegs, da bedeuten Sommer und Sonne: die heißeste und trockenste Jahreszeit mit Temperaturen um 40°C im Schatten, Trockenheit und heiße Halbwüste bis an den Strand. Strand, daß heißt hier herrlicher Sandstrand, allerdings mit so heißem Sand, daß man sich die Fußsohlen verbrennt. Meer, das ist die Cortez See – ein ruhiger Meerarm – ideal für eine Küstenkajaktour.

Es ist stockfinster, 5.30 Uhr. Wir fangen an zu ordnen, packen, die Boote aufzubauen. Ein erster Schreck in der Morgendämmerung: Von unseren 5 Paddeln ist eines auf dem Lufttransportweg gebrochen, eines ist angebrochen. Werner repariert sie mit Klebzeug und Klebeband. Als endlich alles verpackt ist – Nahrung und Ausrüstung für 3 Wochen, insgesamt 90 l Wasser, liegen zwei schwer beladene Aerius–Zweier am Strand von Puerto Escondido, einer für Anke und Werner, der zweite für meine Kinder und mich. Die Sonne brennt vom wolkenlosen Himmel. In Badesachen und Hemden springen wir ins Wasser – es ist nur eine kurze Erfrischung, dann sitzen wir in den Kajaks – Schatten gibt es nicht. Bald sind die Zeichen des kleinen Seglerhafens verschwunden. Wir paddeln an einer einsamen, trocken–heißen Felsenküste entlang. Mit Kakteen bewachsene Felswüsten reichen bis an die Steilfelsen und bilden eine gewaltige Kulisse aus der Paddlerperspektive. Es wird heiß, die Sonne steht im Zenit. Hin und wieder tauchen wir unsere Hemden ins Wasser, ziehen sie naß über, schon bald sind sie auf der Haut getrocknet.

Östlich erstreckt sich die ca. 8 km lange Insel Danzante, vor uns tauchen steile Felseninseln auf. Sie sind weiß gekalkt: Vogelfelsen, die sicher zur Brutzeit sehr belebt, jetzt Ende Juli jedoch verwaist sind.

Ein paar Buchten später sind wir gar geschmort – reif für die nächste Beach. Auf dem heißen Sand bauen wir die Zelte auf. Beim Entladen stellt Werner fest, daß relativ viel Wasser im Boot ist. Da er nicht alle Nahrungsmittel wasserdicht verstaut hat, sind einige Nudeln, Linsen, Haferflocken feucht. Jetzt heißt es: Retten, was zu retten ist – bald liegt alles in der Sonne zum Trocknen aus. Zum Abendessen gibt es bei ihm unfreiwillig vorgequollene Linsen.

Der Abendwind nimmt zu, böig treibt er den feinen Sand bis zu uns ins Zelt. Bald sind auch wir mit einer Sandschicht überzogen, die sich mit unserem Schweiß vermischt, so daß wir mit einer Sandkruste morgens aufwachen – das Knirschen zwischen den Zähnen bleibt auch während des Frühstücks.

Gegen 8.30 Uhr sitzen wir in den Booten. Die buchtenreiche Steilküste beeindruckt uns auch heute. Immer wieder ziehen kleine Trupps Pelikane über uns hinweg. Nach 3 Stunden entdecken wir zwischen den Uferfelsen eine Palmengruppe. Die gefiederten grünen Palmenwedel heben sich unverkennbar von der Umgebung ab. In unserer Karte ist diese Stelle vermerkt. „Schatzkarte“ nennen wir diesen Plan, denn von Lübecker Freunden sind lebenswichtige Informationen eingetragen: 8 Palmen, 2 Brackwasserbrunnen, Haustier“ – so steht es in unserer Karte, da lohnt es nicht anzulanden, erst einige Buchten weiter schlagen wir auf dem Sandstrand einer Bucht die Zelte auf.

Das Thermometer zeigt 46°C in der Sonne, da ist selbst das 29°C warme Wasser eine Erfrischung. Mit Taucherbrille, Schnorchel und Unterwasserkamera tauchen Nils und ich in die bunte Unterwasserwelt ein. Kleine Fische wimmeln um uns herum und lassen uns glauben, daß wir in einem großen Aquarium schwimmen oder in einer Fischsuppe – Aber die gibt es heute nicht: Auf dem Benzinkocher garen, Nudeln mit Tomatensoße, bei den heißen Temperaturen unter dem Sonnensegel ist alles sehr schnell gekocht. Wir sind mit dem Abendessen rechtzeitig vor Sonnenuntergang fertig. Um 20.00 Uhr geht die Sonne unter. Der Landwind setzt wieder ein und wird immer kräftiger. Ich beschwere die Zeltschnüre mit Steinen. Die Windböen werden kräftiger und ruckeln am Zelt.

Die Vollmondnacht könnte so romantisch sein, statt dessen beginnt eine anstrengende Sturmnacht. Die Böen treffen so hart auf unser Zelt, daß das Gestänge droht zu brechen. Die Zeltwände flattern und knallen, immer wieder muß ich die Leinen nachspannen. Erst in den frühen Morgenstunden läßt der Sturm nach – da bleibt kaum Zeit zum Schlafen, denn pünktlich 6.30 Uhr heißt es: Aufstehen – diese besondere Art von Urlaubsdisziplin ist für uns eine neue Erfahrung, aber bei der brennenden Sonne notwendig. Beim Bootepacken kommt Besuch: Ein Pelikan landet neben uns, kommt so dicht heran, daß er nach uns schnappt. Sein großer Beutelschnabel klappt mit lautem Schlag leer zusammen. Der Himmel ist bedeckt, so daß das Paddeln angenehm ist. Die Felsenküste an der wir entlang paddeln, bricht auch hier steil ab und bildet wieder die eindrucksvolle Kulisse. Möwen, Pelikane und Fregattenvögel gleiten über uns hinweg.

Wir halten Ausschau nach Palmen. In der Karte ist ein Indianerdorf eingetragen, in dem es Trinkwasser geben soll. Endlich entdecken wir sie am Fuße eines Berghanges. Die buschigen Wedel der Dattelpalmen stehen hier wie ein kleiner Wald. Menschliche Spuren sind nicht zu entdecken, dafür hören wir Ziegen meckern. Erst ein Stück landeinwärts entdecken wir Spuren; eine kleine Hütte, Hunde, Ziegen und eine Gruppe Mexikaner. „Indianerdorf, 50 Einwohner, Trinkwasser“ steht in unserer Karte.

Freundliche, dunkelhäutige Mexikaner schauen uns mit dunkelbraunen Augen erwartungsvoll an. Leider sprechen sie nur Spanisch – da reicht es bei uns nur, um nach dem lebensnotwendigen Aqua – Trinkwasser – zu fragen. Das schöpfen sie aus einem Bottich freundlich in unsere Wassersäcke.

Wieder zurück bei den Booten wird das Einsteigen zur feuchten Angelegenheit – im hüfttiefen Wasser brechen sich die Brandungswellen, der Wind hat aufgefrischt. Im Wellentanz geht es um die nächsten Landnasen – leider mit Gegenwind.

Vor uns öffnet sich die große Bucht, das Wasser wird flacher, leuchtet hellblau – Aquaverde. Im kleinen Naturhafen Puerto de Aquaverde schaukeln zwei Seegelboote im Wasser, während wir anlanden und zwischen trockenen Bäumen und stacheligen Büschen die Zelte aufschlagen.

Unter den Bäumen gibt es Schatten zum Ausruhen und zum Essen. Die melodische Stimme eines Vogels ist zu hören, es ist ein roter Papagei, der scheu im Kakteengestrüpp verschwindet, als wir uns nach ihm umschauen.

Fast windstill ist es, und auch nachts bleibt es ruhig, so daß ich das Gefühl habe, langsam im Schweiß gar zu köcheln.

Die Sonne geht auf, während wir wieder die Boote packen. Als ich das Zelt zusammenräume, schwingt ein ca. 3,5 cm langer bernsteinfarbener Skorpion gereizt seinen Stachel. Er hatte unter unserem Zelt Schutz gesucht. Nach einigen Fotos scheuche ich ihn ins stachelige Gebüsch – eine Klapperschlange wäre mir unangenehmer!

Mit den ersten Paddelschlägen verlassen wir die Bucht von Auquaverde, der helle Kies läßt in der Morgensonne das Wasser grünlich leuchten. Wir paddeln vor einer beeindruckenden Felsenküste. Rund 100 m hohe rötliche Felsen aus Konglomeratgestein fallen fast senkrecht ab. Die dahinter aufragenden kahlen Berge steigen 400 bis 500 m hoch auf und schaffen so eine grandiose Felsenlandschaft.

My beautiful picture

Vor uns liegt die Landspitze Punto san Marcial. Aber das, was auf der Karte so eindeutig erkennbar ist, stellt sich in der Realität als Staffel bizarrer Felsvorsprünge heraus. Zwei spitze Felstürme ragen steil auf, die lange Dünung bricht sich donnernd an den Felsen, und schafft so eine respekteinflößende Geräuschkulisse.

Vor uns tauchen wieder Palmen auf – die Rancho Martha.

Die Brandung ist etwas unangenehm, aber wir wollen auf neues Trinkwasser nicht verzichten, und so springen wir im hüfttiefen Wasser aus den Kajaks und ziehen sie schnell aus dem Gefahrenbereich der Brandungswellen auf den Kiesstrand. Ein Holzzaun reicht bis ans Ufer, dahinter steht malerisch zwischen den Dattelpalmen ein mit Palmblättern gedecktes rundes Haus. Ebenso malerisch führt zwischen den Palmen ein Sandweg zu einigen kleinen Hütten. Ein Mexikaner kommt uns entgegen. Er lächelt freundlich – seine zwei Eckzahnstummel und auch die fehlenden Schneidezähne zeigen an: Der Weg zum Zahnarzt ist hier sehr weit.

Wenig später erreichen wir eine kleine Hütte, eine Frau winkt uns lächelnd in die Umfriedung herein. Uns umgibt eine einfache Idylle: Ein Baby schaukelt in einer am Holzbalken aufgehängten Wiege, zwei junge Mädchen stehen neben der Mutter. In zwei Käfigen zwitschern Vögel, ich erkenne den roten Papagei im Käfig. Hunde und Katzen liegen im Schatten der kleinen Möbelstücke. Aus einem Bottich schöpft die Mexikanerin kühles, klares Wasser in unsere Behälter, während wir radebrechen, daß wir per Kajak hier sind und aus Deutschland kommen – zu weit für die Vorstellung dieser Menschen.

Weit schaffen wir es heute nicht mehr. In der Ferne ist eine lange Steilküste zu sehen, da steuern wir lieber die nächste Bucht an und zelten im Schatten stacheliger Bäume. Die Nacht ist windstill und sehr ruhig. Ich schwitze mein Laken naß, fühle mich eher gegrillt als ausgeschlafen.

Als wir aufwachen, brennt die Sonne bereits wieder unbarmherzig herab. – Am Ende der Tour werden wir gar gekocht sein!

Trotzdem fasziniert mich die trockene Welt der Halbwüste. Zwei Geier kreisen über uns, als ich die kratzige Kakteenwelt erkunde. Der rote Papagei ruft melodisch, ein kleines gestreiftes Hörnchen saust vor mir durch das stachelige Kakteengestrüpp. Als ich still vor einigen Kakteen, die gerade blühen, hocke, kommt leise brummend wie ein Hubschrauber ein Kolibri angeflogen. Während ich den kleinen schillernden Vogel beobachte, fällt mir die Sage der Azteken ein: 4 Jahre kommen die Seelen der toten Azteken in den Himmel, wo sie sorgenfrei leben, danach kommen sie zurück zur Erde – als schillernde Kolibris. 328 Arten dieser fliegenden funkelnden Edelsteine gibt es weltweit, die Oberfläche ihres Federkleides ist aufgebaut wie Prismen, die Farben entstehen durch die Berechnung des Lichtes – funkelnde Boten aus der Welt der Azteken.

Über uns kreisen immer noch zwei Truthahngeier, schwarzes Gefieder, roter federloser Kopf – ich bin durchgeglüht und fast reif für eine Geiermahlzeit. Wir haben inzwischen Besuch bekommen: die Mexikanerin, die uns gestern Wasser gab, ist mit ihrer Tochter unterwegs zum Strand. Sie suchen kleine Schnecken, die sie auffädeln zu Vorhängen und Schmuckstücken.

Ich muß zum Abkühlen ins Wasser – 28°C Wassertemperatur, bis zu 57°C hat sich der Uferkies aufgeheizt, da ist es im Wasser richtig kühl. Ich tauche ein in eine vielfältige und farbenprächtige Welt der Fische. Als ich einen Tintenfisch entdecke, versuche ich, ihn zu fangen. Er saugt sich an meinem Arm fest und entschwindet in einer vermeintlich dunklen Höhle: Unter meinem T–Shirt auf meinen Rücken. Schnell schwimme ich an Land, reiße das Vieh von meinem Rücken. Es bleibt ein blutiger Knutschfleck, aber ich präsentiere stolz meinen Fang: Ankes Lieblingsspeise, der bald in der Pfanne im Knoblauchöl schmort.

Als wir am nächsten Tag starten wollen, trifft mich fast der Schlag – nicht der Hitzeschlag, sondern unser Boot ist auf der Höhe des Vordersitzes ca. 30 cm. lang aufgeplatzt, die Bootsnaht ist gerissen. Mit breitem Klebeband versuchen wir das Leck zu dichten, dann starten wir mit vorsichtigen Paddelschlägen. Das Wasser ist fast bleiern. Es ist so heiß, daß unsere nassen Hemden schnell auf der Haut trocknen. Auch die hohe Steilküste bietet keinen Sonnenschutz. Schatten bieten nur die schnell über uns hinwegziehenden Pelikane und Fregattenvögel – aber nur für Bruchteile von Sekunden. Kleine Fische springen vor uns aus dem Wasser, eine Wasserschildkröte döst an der Wasseroberfläche. Neben uns erhebt sich eine riesige Steilküste, der hellbraune Fels bricht fast senkrecht ab. Die Schroffheit der Felsen flößt Ehrfurcht ein. Auch hier bricht sich donnernd die Dünung, die sanft unter uns hindurchrollt.

Nach 2 ½ Stunden Paddelstrecke zeigen wieder Dattelpalmen unser nächstes Ziel an. Die Palmen wachsen bis weit ins Tal hinein, ein Boot liegt am Ufer, Hundegebell ist zu hören. Als wir anlanden, laufen einige Mexikaner herbei. Ein Boot kommt herangefahren, wir helfen, es auf den Kiesstrand zu ziehen. Hier hilft jeder jedem – auch uns wird geholfen: Auf unsere Frage „Aqua?“ werden wir weiter ins Tal verwiesen.

Insgesamt fünf Hütten entdecken wir, Kinder, Frauen, Hunde und Ziegen, ein Esel, alle verstreut unter Dattelpalmen und hartem Gestrüpp. Niedrige Holzhütten sind mit Holzzäunen und Astwerk zum Schutz vor den Tieren umschlossen. Ein Baby schreit, die Frauen rufen uns etwas zu, freundlich, etwas schrill. Wir bedanken uns, verstehen aber nur: Weitergehen in dieser Richtung. Kurz hinter den Hütten erreichen wir die Wasserstelle: Ein ca. 5 m tiefer aus Feldsteinen gemauerter Brunnen. Über eine quietschende Rolle läßt Werner den Wassereimer herab und schöpft klares Trinkwasser, ein archaisches Bild.

Es ist schweißtreibend, die 20 l Wasser zurück zum Strand zu schleppen, dann geht es weiter. Wir passieren die kleine Rancho Cariga Lito, vor uns liegen wieder rote Steilfelsen. Als sich eine weiß leuchtende Bucht öffnet, ist unser Tagesziel klar – die Sonne steht im Zenit, so daß wir erst einmal eine Abkühlung verdient haben, die sich zu einem ausgedehnten Schnorcheln entwickelt.

Zwischen den Unterwasserfelsen wimmelt es von Fischen. Eine ca. 1 m lange Muräne schlängelt sich vor uns in die Felsenhöhlen und flößt uns Respekt ein – da tauchen wir lieber schnell wieder auf.
52° C heiß ist der Sand, zu heiß, um ohne Schuhe herumzulaufen. Trotzdem haben wir uns so gut aklimatisiert, daß ich sogar ohne Sonnenschutzmittel gepaddelt bin – trotzdem, die Hitze lähmt die Aktivitäten.

Kurz vor der Dämmerung kommt ein Mexikaner mit seinem Jungen angefahren. „Manuel“ stellt er sich vor, sein Motorboot schaukelt in der Brandung. Wir unterhalten uns so gut es geht: Eine Stunde, dann will er mit 4 Langusten zurück sein.

Wir sind gerade mit unserem Abendessen fertig: Nudeln mit Tomatensoße – als Manuel wieder in der Bucht erscheint. 6 Langusten hat er in 30 Minuten gespeert. Wir kaufen 3 große Exemplare. Nur mit Mühe passen sie in die zu kleinen Camping-Kochtöpfe und röten sich bald im kochenden Seewasser. In der Dämmerung genießen wir die frische Spezialität, das süßliche Krebsfleisch ist köstlich – nur Werner rümpft die Nase, Krebse sind nicht seine Sache.

Da wir gemeinsame Urlaubskasse haben, beschließen wir, daß sein Anteil aus dem roten Krebspanzer besteht, der jetzt nutzlos auf den Strand fliegt. Bald ist er umringt von kleinen Krabbeltieren: Einsiedlerkrebse, die mit ihrem Schneckenhaus nicht nur Wohnung sondern auch Schutzgehäuse herumtragen. Am nächsten Morgen ist der Strand zerfurcht wie von kleinen Panzerspuren – die Einsiedlerkrebse haben die Langustenreste genossen.

Ich habe davon geträumt, selbst mit Schnorchel und Speer auf Unterwasserjagt zu gehen und bin deshalb begeistert, als Manuel uns wieder nach der nächsten Paddeletappe aufsucht und mir seine Harpune zum Kauf anbietet. Allerdings mißlingen meine ersten Fangversuche.

Gnadenlos geht am nächsten Morgen 6.54 Uhr die Sonne auf, bald sind wieder 30°C erreicht. Kurz vor 8.30 Uhr starten wir. Leider ist derzeit morgens Niedrigwasser. Bei 2 m Tidenhub heißt es Schleppen bis an die Uferlinie und dann paddeln gegen den Flutstrom.

Die Uferbereiche sind flacher, nur rund 20 bis 30 cm hoch, heller Sandstein, darüber höhere rötliche Gesteinsschichten, darunter sammelt sich das Steingeröll. „Das Ufer sieht aus wie eine Schutthalde“, beschreibt Anke die von Steinbrocken übersäte Uferregion. Erst weiter hinten liegen die wuchtigen Felsmassive, die hoch aufsteigen, bizarre, zackige Felsen, die uns an Regionen der Alpen erinnern, allerdings hier mit Kakteen und Stachelgestrüpp bewachsen. Hoch über uns segeln Fregattenvögel, schwarze Vögel mit weißer Brut und schwarzer Kehle. Silbermöwen, Kormorane und Pelikane hocken auf den Felsen. In sich versunken, den Schnabel tief herabhängend, scheinen die Pelikane über das Leben an und für sich zu sinnieren – oder halten sie nur ihren Verdauungsschlaf?

Eine große Bucht tut sich vor uns auf und schon von weitem können wir die Palmen erkennen: die Rancho Dolores del Sur. Am Ufer repariert ein Mexikaner sein Fischerboot, er weist uns den Weg zur Wasserstelle. Wir erreichen nach rund 200 m ein gemauertes größeres Haus, das von zwei oder drei Familien bewohnt wird. Vor dem Haus stehen Dattelpalmen, die mit kleinen Mulden verbunden sind – Bewässerungsmulden. Ein Mangobaum hängt voller Früchte.

Ein Mexikaner kommt mit einem Auto angefahren, gibt es eine Straßenverbindung? Eine Wasserentnahmestelle gibt es weiter im Landesinnern, das bleibt uns zum Glück erspart. Aus einem vollen Wasserkübel schöpfen wir unsere Kanister voll. Zehn dunkelbraune Augen beobachten uns – zwei Mädchen, drei Jungen, die schweigend die Fremden beobachten.

Wieder zurück am Strand ist es kurz vor Mittag, die Sonne brennt so heiß vom Himmel, daß es Zeit wird aufzuhören. Der Südwind hat aufgefrischt und bläst uns jetzt kräftig entgegen. Eine sandige Buch – unsere Traumbucht kommt gerade rechtzeitig. 13 Truthahngeier kreisen in der Luft und hocken sich anschließend auf die Kakteen. Der Wind hat aufgefrischt, Werner mißt Süd VI – VII Bfd, das bedeutet Steine schleppen um die Zeltheringe zu beschweren. Für Nils und mich heißt es jetzt nicht mehr Schnorcheln mit Fotoapparat, sondern mit Harpune. Nach 30 Minuten habe ich einen ca. 30 cm großen, blau-schwarzen Fisch harpuniert, eine kleiner Barsch endet ebenfalls an den Zacken meiner Harpune. Danach speere ich einen großen Tintenfisch, aber der reißt sich los und verschwindet in einer blauschwarzen Tintenwolke. Aber ich kann weitere Fische harpunieren – genug zum Abendessen. Nina ist begeistert. Wir sollen mehr fangen, meint sie und pult das Fleisch von den Gräten. Es bleibt gerade noch Zeit für ein Abendbad, ehe es nach Abwasch, Abbau des Sonnensegels und Aufräumen schnell dunkel wird.

Eine sternenklare Nacht wölbt sich über uns. Wir sind hier direkt unter dem Wendekreis des Krebses – dem Beginn der Tropen – und merken es an den Temperaturen: 36°C sind es tagsüber unter dem Sonnensegel, der Sand in unseren Traumbuchten hat sich bis zu 62°C aufgeheizt – da sind wir lieber auf dem Wasser, allerdings in greller Sonne mit mehr als 40°C!

Die Felsen, an denen wir entlang paddeln, bestehen heute aus schräg bis senkrecht gelagerten Gesteinsschichten mit dunkelbraunem Gestein. Der Wind nimmt wieder zu, die Wellen werden höher und donnern gegen das Felsenufer. Die rauhen Felsen bilden vor uns ein großes Felsentor. Herabgefallene Gesteinsbrocken verhindern, daß wir durch das Tor fahren können. Pelikane und Fregattenvögel hocken auf dem Felsen, gegen die jetzt die Brandungswellen tosen. Direkt hinter einer großen Landnase liegt die erste der drei bewohnten Buchten von Napolo. Die Brandungswellen donnern so auf den Kiesstrand, daß Anke und Werner im hüfttiefen Wasser aussteigen. Während Anke mit dem Wasserkanister an Land watet, hält Werner das Boot auf Kurs. Erst in der dritten bewohnten Bucht können wir am flachen Kiesstrand anlanden. Vor dem kleinen Haus empfängt uns ein netter Mexikaner, der uns bereitwillig Wasser gibt. Das Anwesen besteht aus einem gemauerten niedrigen Haus und einer überdachten offenen Hütte, in der sich das Leben im Schatten abspielt. Ein junger Hund will gestreichelt werden. Eine ältere Mexikanerin, eine junge Frau und ihre Tochter laufen herum. Die junge Frau brät an einer geschützten Stelle über offenem Feuer Fisch. In zwei großen Eisenpfannen brutzelt es. Sie zieht ihre lange Bluse mit einem Knoten zusammen, als ich näherkomme – besucherfein! Als ich gehen will, bedeutet der Hausherr, daß ich noch warten soll. Kurz darauf reicht er mir eine emallierte Schale mit 5 Tachos und gebratenem duftenden Fisch – ein mexikanisches Gastgeschenk!

Der Wind nimmt zu, weiße Schaumkronen zeigen an, daß es mindestens Bfd IV sind, die uns entgegenblasen. Als wir endlich in einer großen sandigen Bucht anlanden, hat Werner wieder viel Wasser im Boot. Irgendwo scheint es leck zu sein, ein Loch ist in der Bootshaut jedoch nicht zu finden. Ein weites mit Kakteen bewachsenes Tal, eingerahmt durch hohe, schroffe dunkelbraune Felsenmassive ist unser neues Zuhause. Bald flattert das Sonnensegel im Wind und spendet Schatten zum Ausruhen, Essen. Nils und mich treibt es wieder mit der Harpune auf Fischjagt. In den steilen Uferfelsen wimmelt es von Fischen. Die größeren sind ca. 50 cm lang, grünlich, ein Mexican hogfish. Besonders schön ist der etwa handgroße Juvenile King angelfish in seinem blau-braunen Schuppenkleid mit schwarzem Kopf, weißen Streifen, blau- und orange–farbenem Flossensaum und gelbem Schwanz. Spotted porcupine fish – kleine Igelfische – schwimmen wie borstige Kugeln um uns herum. Das Wasserleben ist so reichhaltig, daß es uns vorkommt in einer deftigen Fischsuppe herumzuschnorcheln. 132 Familien, 431 Gattungen und Arten bevölkern nach den Statistiken das Wasser, 17 % davon sind endemisch und 92 % weisen tropische Affinität auf – für uns ist es ein farbenprächtiges Reich, in das wir hineintauchen. Neptums Reich, das uns hier in seiner lebendigen Buntheit und Vielfalt immer wieder verzaubert. Allerdings befinden wir uns hier gerade am Rande der Tropen. Korallen sind deshalb selten. Eine violett-rote zarte Fächerkoralle bewegt sich in der Strömung an den Felsen, einige bräunliche Hirnkorallen sind zu finden, die Welt dieser Tierarten ist hier aber sehr begrenzt.

Die Kartenlektüre ergibt: Wir befinden uns kurz vor Evaristo, noch drei Etappen sind es bis San Juan – Strecken ohne Trinkwasserstellen nach unseren Informationen. Da heißt es in Evaristo die entsprechenden Vorbreitungen zu treffen. Hinter einem hohen Kiesstrand dehnt sich ein Salinengelände aus. Das Seewasser wird in kleinere Becken geleitet, durch die Verdunstung kristallisiert das Salz aus. Die Salzkristalle glitzern und funkeln im Sommerlicht, in einem Becken leuchtet eine violette Salzlake. Zwei große Salzaufschüttungen warten offenbar auf den Abtransport. Der Ort besteht aus einigen Buchen, 5 Hütten, Kühe und Esel laufen herum. Am kleinen Dorfplatz hocken junge Mädchen, die Männer und Jungen sind offensichtlich zum Fischen unterwegs. Die Mädchen sind hübsch, braunhäutig mit dunklen Haaren und braunen strahlenden Augen. Sie zeigen uns freundlich den Dorfbrunnen, eine betonierte Wasserstelle, aus der wir mit einem Eimer Wasser schöpfen können, klar und kühl. Aber ohne Mikropur trauen wir uns nicht, es zu trinken. 40 l Trinkwasser schleppen wir zurück zu den Booten, bei 36°C im Schatten zeigt der fließende Schweiß die Kostbarkeit des Trinkwassers an.

Vor uns streicht ein großer Adler von den Felsen ab, läßt sich auf der Spitze eines knorrigen, alten Kaktus nieder und beäugt uns beim Vorbeigleiten.

Das Landschaftsbild ändert sich: Die Berge weichen zurück, es entsteht ein weites hügeliges Vorland. Dürres Stachelgeäst und Kakteen bilden den graubraunen Bewuchs bzw. die trockenen Reste, die der ständigen Sonnenglut standhalten.

Die Steilfelsen von Punta Cabera Mechuda beeindrucken uns wegen ihrer Mischung aus horizontal gelagerten Schichten aus ocker, rötlichem und hell-olivgrünem Gestein. Die offensichtlich weicheren hellen und roten Gesteinsschichten erodieren schneller und bilden am Fuße der Steilwände Geröllhalden und Sandbuchten mit „Korngrößen“ bis zu 2 m. Unter uns rollt eine relativ hohe Dünung hindurch, Brandung und Widerwellen schaukeln sich zu einer kabbeligen See auf. Immer wieder ragen in Ufernähe brandungsumtoste Felsen aus dem Wasser, auf denen Pelikane und Fregattvögel hocken. Auf den höchsten Felszinnen entdecken wir große Horste, Fregattvögel kreisen in der Höhe. 5–6 km lang ist die gewaltige Steilküste, danach kommen flache Landzungen und Kiesbuchten, die immer größer werden. Die Felslandschaft ist geprägt durch ockerfarbene und rötliche Steinschichten in horizontaler Lagerung wie Schichtkäse. Das Felsmassiv erstreckt sich über mehr als 20 Kilometer Länge.

Das Ufer bildet große Buchten, gefüllt mit unbewegtem Wasser. Scharen kleiner silbriger Fische springen heraus, sind aber schnell wieder verschwunden, als ob das bleierne Wasser sie verschluckt hätte. Seit drei Tagen haben wir keine Wasserstelle angelaufen, unser Trinkwasser wird knapp. Aber San Juan kann nicht mehr weit sein.

In der Ferne naht ein großer Frachter, die „Pacific–Pioneer“, mit vier riesigen Kränen, er hat das gleiche Ziel wie wir. Hinter einer felsigen Landzunge tauchen große Verlade- und Gewerbeanlagen auf: San Juan, ein Bergbauort für Phosphatabbau.

Knapp drei Wochen waren wir am heißen Wüstenstrand unterwegs, jetzt entdecken wir einige Mexikaner am Strand. Ein großes rotes Auto, steht in der Nähe, ein Kastenwagen. Wie hypnotisiert starren wir es an: „Coca Cola – der transportiert eisgekühlte Cola“, ruft Nils und jeder spürt wie das Wasser im Munde zusammenläuft – the american way of life – hat uns wieder und (fast) gar gekocht sind wir auch!