Deutschland – Ramm Pamm! Bei den Wildpferden des Merfelder Bruches

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„Ramm Pamm! Ramm pammpammpamm!“

Kurt Tucholsky, 1930

Eine Staubwolke wirbelt auf, als ein Teil der Herde an uns im Galopp vorbeizieht.

Ramm pammpammpamm – machen die vielen Hufe auf dem trockenen Untergrund der großen Waldlichtung. Es ist ein besonderes Erlebnis, die kleine Herde der Wildpferde an uns vorbeiziehen zu sehen: Hellbraune Stuten und dunklere Fohlen.

Wir stehen am Rande des Merfelder Bruches, ein weitläufiges Gebiet mit großen Laubwaldbeständen. Aber auch Nadelwälder, Wiesen, Moor- und Heideflächen schaffen eine abwechslungsreiche Landschaft, die genau das Richtige für die einzigen europäischen Wildpferde zu sein scheint. Übermütig tollen die Fohlen an der Seite der Stuten, die sich aber offenbar lieber in der staubigen Sandkuhle wälzen oder äsen.

Wieder einmal sind wir unterwegs auf der Suche nach besonderen Naturerlebnissen, dieses Mal in der Gegend von Münster und dort nur wenige Kilometer westlich der nordrhein-westfälischen Stadt Dülmen. Auch wenn es hier Teil eines inzwischen dicht besiedelten Landes ist, gibt es doch seit frühester Zeit in diesem Landesteil eine Herde wilder Pferde. Sie wurde bereits vor mehr als 700 Jahren, im Jahr 1316, erstmalig urkundlich erwähnt. Damals war es hier im Norden des Heiligen Römischen Reiches im Bistum Münster noch ein sehr dünn besiedelter, teils unwirtlicher Landschaftsraum, viel Raum für Moore, Heiden und Wälder. – Man muss sich vorstellen, dass die Weltbevölkerung zu Beginn des 14. Jahrhunderts auf nur insgesamt 360 bis 432 Millionen Menschen geschätzt wird, in Deutschland (in den Grenzen von 1914) lebten um 1500 nur insgesamt 9 Millionen Menschen! – Bevölkerungsentwicklungen und die fortschreitende Urbarmachung der Naturräume hatten zur Folge, dass sich der Lebensraum der Wildpferde ständig verkleinerte.

Es ist Alfred Herzog von Croy zu verdanken, der Mitte des 19. Jahrhunderts die letzten Wildpferde einfangen ließ und ein Gebiet für die Tiere reservierte. Auf diese Weise schuf er die Grundlage für das inzwischen ca. 400 ha große Wildpferde-Reservat. Rund 400 Pferde beträgt die Herde heute. Man muss sie wohl inzwischen als halbwild bezeichnen, denn einmal im Jahr werden sie zusammengetrieben und die Hengste werden ausgesondert. Sie würden sich erbitterte Kämpfe um die Stuten liefern und hätten keine Chance, wie in der ganz freien Natur eigene Rudel zu bilden und abzuwandern.

Hier muss heute der Mensch eingreifen und nach Cowboy-Art die Tiere einfangen und trennen. Die Hengste werden separiert, an den Menschen gewöhnt und sind als Reitpferde für Kinder und als Kutschpferde für viele Käufer sehr willkommen.

Auf diese Show, die nur einmal jährlich am letzten Sonntag im Mai hier stattfinden soll, müssen wir verzichten, da der Sommer schon weit fortgeschritten ist.

Aber wir sind ja auch nicht im Wilden Westen und auch nicht zur Cowboyshow hier, sondern wir wollen sie als Wildtiere erleben.

Ein kleines Rudel steht etwas abseits vor der Waldkulisse. So haben sie sicher einmal die Regionen Europas durchstreift, frei und ohne Sattel und Halfter zu kennen. Es ist eine alte und ursprüngliche Kleinpferderasse, die inzwischen allerdings mit Tarpanen und Ponyrassen zur Genauffrischung eingekreuzt worden ist. Trotzdem blieb ihr ursprüngliches Erbgut ausreichend vorhanden, um sie noch als Wildpferde zu bezeichnen. Damit sind sie auch noch ursprünglicher als die Mustangs der amerikanischen Prärie oder die Pferde der Camargue in Frankreich bei denen es sich genetisch um verwilderte Hauspferde handelt.

Hier im bei den Wildpferden im Merfelder Bruch fließt noch viel wildes Blut durch die Adern der Tiere. Das Fell der Tiere schimmert in Braun bis Grau. Der dunkle Streifen von der Mähne bis zum Schweif, der auch als „Aalstrich“ bezeichnet wird, kennzeichnet diese Rasse. Mit einer Größe von bis zu 1,35 m ist es eine Kleinpferderasse. In Deutschland gezüchtete Warmblut-Reitpferde haben ein Stockmaß von 1,58 m bis 1,70 m und sind damit deutlich größer.

Anmutig stehen die Stuten und Fohlen beisammen. Sie streifen offensichtlich im Familienverband umher, eine stille, sehr ruhige Atmosphäre umgibt sie.

Eine leichte Brise kommt auf und wirbelt kleine Staubwolken durch die Luft. Vogelrufe sind zu hören. Es ist eine sehr schöne

Stimmung voll Harmonie und etwas entrückt von der sonstigen Hektik unserer Zeit. Ist das der Grund dafür dass mir ein altes Sprichwort hierzu einfällt und das mir nicht mehr aus dem Kopf gehen will:

„Das Paradies der Erde

liegt auf dem Rücken der Pferde

in der Gesundheit des Leibes

und am Herzen des Weibes.“

Der Volksmund hat den Spruch umgewandelt in

„Das Glück der Erde

liegt auf dem Rücken der Pferde“

Einer meiner Lieblingsschriftsteller, Kurt Tucholsky, hat dieses Sprichwort aufgegriffen in seinem Gedicht „Cowgoys“ geschrieben unter dem Pseudonym Theobald Tiger 1930.

Auch wenn dieses Gedicht für den kurzen Artikel etwas lang ausfällt, so zeigt es doch, dass das oben genannte Sprichwort schon damals seine Bedeutung hatte. Besonders bei dem Beobachten der Fohlen, die nicht wie ihre Mütter die meiste Zeit des Tages mit dem Äsen verbringen müssen, wenigstens so lange sie gesäugt werden – zeigt sich noch die wilde Lust am freien Herumtollen. Und so überkommt auch uns das Gefühl, frei mit den wilden Pferden unterwegs in einer schönen Landschaft und glücklich über ein schönes Erlebnis zu sein.

Ramm pammpamm – das Glück der Erde – wenigstens für eine kurze Zeit ein kleines Stück davon.

Quelle:

  • Titel: Lerne lachen ohne zu weinen
  • Verfasser: Tucholsky, Kurt  
  • Erschienen: Berlin : Rowohlt1932
  • Ausgabe 11. – 15. Tsd.
  • Umfang: 426 S.
  • Anmerkung: In Fraktur
  • Online-Ausgabe Düsseldorf : Universitäts- und Landesbibliothek, 2008

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