Deutschland – Der Niederrhein

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Eine Tour vom 13. 04. 2017 bis zum 23.04.2017

Es ist wie so häufig: Da gibt es ein Gebiet, nur unweit vor der Haustür, jeder kenne es vom Namen, doch kaum einer kennt es wirklich. Der Niederrein – von Bonn aus nur etwa 130 km entfernt, doch meine Fragen im Bekanntenkreis stoßen eher auf Unkenntnis. Klar, Xanten und die Römer. Nein – da war doch etwas mit „Siegfried“, dem deutschen Superhelden und Drachentöter – aber die meisten fahren dann doch weiter, landen in den Niederlanden an der Küste zum Baden. Aber wir wollen bleiben und uns dem Niederrhein etwas genauer widmen.

Unser Auto ist wieder einmal bepackt mit Ausrüstung und Essen für die ersten Tage, dazu die Fotoausrüstung, dieses Mal 2 Kameras mehrere Objektive und die Stative, aber wir haben genug Platz, denn unser Werner-Baby muss dieses Mal früher abfahren und muss deshalb im eigenen Wagen anreisen.

Bis zu dem von uns vorgebuchten Ziel bei Sonsbeck sind es nur ca. 130 km, die schaffen wir in etwas weniger als 1,5 Stunden, ehe wir unseren ersten Einkauf auf unserem Bauernhof tätigen: Kartoffeln, Eier und Milch – alles nur von glücklichen Tieren.

„Der Rhein tritt bei Bonn aus dem rheinischen Schiefergebirge aus und wird zum Flachlandfluss. Weiterhin gute Strömung, starker Schiffsverkehr. Bis Kilometer 779 wird das Landschaftsbild durch zahlreiche Industrie-, Kraftwerks- und Hafenanlagen geprägt.“ – Mit diesen spärlichen Worten beschreibt das Deutsche Flusswanderbuch den Verlauf des mächtigen Stromes – hier den Niederrhein.

„Die Region Niederrhein, verkürzt auch der Niederrhein, ist eine an die Niederlande grenzende Region im Westen des Landes Nordrhein-Westfalen. Sie ist allerdings zu unterscheiden von dem gleichnamigen unteren Rheinabschnitt, zu dessen beiden Seiten sie sich erstreckt; der Flussabschnitt Niederrhein beginnt bereits weiter südöstlich an der Siegmündung. Auch die naturräumliche Definition des Niederrheins als nördlicher Teil der Niederrheinischen Bucht unterscheidet sich, weil dabei entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch auch Teile des zentralen Rheinlandes einbezogen werden, von derjenigen der Region Niederrhein.

Eine eindeutige geographische Abgrenzung des flachen eigentlichen Niederrheingebietes von den Nachbarlandschaften gibt es nicht. Das Niederrheingebiet bildet außerdem weder geologisch, historisch, politisch noch kulturell eine kontinuierliche Einheit. Gelegentlich wird die Region Niederrhein definiert durch das, was sie nicht ist: Sie ist nicht identisch mit den angrenzenden Niederlanden, mit dem benachbarten Westfalen, mit dem im Südosten beginnenden Bergischen Land oder mit dem Norden der Eifel samt Villerücken im Süden. Teile des Niederrheins überlagern sich mit dem Ruhrgebiet, das jedoch nicht zu den historischen Landschaften zählt. Am ehesten lässt sich das Niederrheingebiet als das Land kennzeichnen, dessen Bewohner die (früheren) niederrheinischen, zum Niederländischen gehörenden, Mundarten sprechen.“ – So beschreibt es Wikipedia im Internet, was soll man da noch hinzufügen – selbst hinfahren und erkunden heißt für uns die richtige Lösung.

In den kommenden zehn Tagen haben wir Zeit für Erkundungen und Touren und natürlich auch Zeit zum Genießen. Und das bezieht sich nicht nur auf das Essen und Trinken, sondern auf die Natur und Kultur, die uns hier umgibt und die uns bisher noch recht unbekannt ist. So haben wir uns vorbereitet auf interessante Mittelstädte mit historischen Kostbarkeiten und kulturellen Besonderheiten, aber auch auf die natürliche Umgebung des Niederrheines. Um ganz ehrlich zu sein: Ich wollte erkunden, was der Niederrhein bietet und ob er auch aus der Paddlerperspektive interessant sein könnte. Hinsichtlich der Tiere wollten wir uns überraschen lassen, für viele Vögel war es sicher die falsche Jahreszeit, denn der Niederrhein ist bekannt als Überwinterungsstandort und Zwischenrastplatz für Gänse und Limikolen – dafür war es jetzt sicher zu spät.

Eine Besonderheit stand noch auf dem Programm: Die Flamingos im Zwillbrocker Venn – wild lebende Flamingos in Deutschland? Ich hatte davon gelesen, und es war natürlich jetzt ein besonderer Reiz, dieses zu erkunden und möglichst Fotos zu machen.

Diese Aufzeichnungen sollen kein Tagebuch sein. Hierzu verweise ich lieber auf meine handschriftlichen Tagebuchaufzeichnungen, die ich seit vielen Jahren erstelle, insbesondere von unseren Hauptreisen mit dem Kajak. Bei dieser Zusammenstellung möchte ich die wesentlichen Naturerlebnisse mit meinen Bildern dokumentieren. Natürlich hatten wir auch Blicke für die teilweise einzigartigen Kulturschätze, die städtebaulichen und architektonischen Besonderheiten. Aber darüber berichten die Reiseführer sehr genau und ein gewissenhaftes Abschreiben der Daten liegt mir nicht.

Die Städte, die wir besichtigen sind alles Mittelstädte, aber jede hat ihren eigenen Charme und spezielle Besonderheiten, die uns überraschen und die auffordern wiederzukommen.

Xanten ist nicht nur die einzige Stadt mit X am Anfang, die mein Navy kennt, sondern auch eine Stadt mit rund 2000 jähriger Geschichte. Die historische Stadtmauer mit der alten Mühle, die heute Bäckerei und Verkaufsladen beherbergt, ist für uns der erste Anlaufpunkt. Die Stadtsanierung hat hier dazu geführt, dass Straßen, Wege und Plätze schön gestaltet und mit neuem Pflaster versehen sind. Die meist zweigeschossigen kleinen Häuser weisen oft nur wenige Zierelemente aus, aber sie schaffen ein sehr schönes geschlossenes, historisch anmutendes Stadtbild. Beeindruckend ist der große Dom im Zentrum der Stadt.

Ex sanctus, so bezeichneten die Römer den Feldherren, der sich zum Christentum bekehren ließ. Aus der Römerstadt ausgestoßen und vor der Stadtmauer hingerichtet, wurde eine Kirche errichtet, später der Dom. Und aus dem Begriff ex sanctus wurde Xanten – diese Stadt überdauerte die nächsten 2000 Jahre, die Römerstadt nicht!

Die alten Römerstadt-Ruinen und das Römermuseum sind so vielfältig und groß, dass wir nicht nur 2 Mal hinein gehen, sondern dort mehrere Stunden benötigen. Im Amphitheater, das ehemals für die 10.000 Einwohner der Stadt gebaut war, probiere ich die Raumakustik aus:

„Alea iakta est“ – Die Würfel sind gefallen – so sprach es Cäsar vor 2000 Jahren.- Meine Worte sind bis in die obersten Reihen zu hören.

Das von den Kölner Architekten Gatermann + Schossig entworfene und im August 2007 eröffnete Museum basiert im Inneren auf der Idee eines begehbaren Zeitbandes – ein langes Ausstellungs-Informations-band schlängelt sich über mehrere Etagen durch die Römerzeit. Auf rund 4.000 qm Fläche werden ca. 2.500 Exponate toll präsentiert, dazu Videos, Fotos und Schriften.

Kevelaer dagegen eine vornehme, reiche Wallfahrtsstadt, die ebenfalls sehr schön saniert worden ist. Als wir uns für einen kleinen Imbiss in ein Café zurückziehen und in Ruhe das Leben in der Fußgängerzone beobachten, fallen uns die vielen Menschen auf, die mit kleinen Osterkörbchen in Richtung Wallfahrtskirche ziehen oder von dort kommen. Als ich einen Passanten deshalb anspreche, erfahre ich, dass es alles Mitglieder der polnischen Gemeinde sind, die ihre Ostergeschenke und das Essen in der Kirche segnen lassen, er selbst ist Mitglied dieser großen polnischen Gemeinde. Im Umfeld des Domes gibt es zwei weitere Kirchen bzw. Gedenkstätten, in einer sind die unzähligen Flaggen und Schilder der Wallfahrtsleute aufgehängt und alles ist prachtvoll geschmückt. Der Dom ist so prunkvoll verziert wie kaum ein anderer. Die hohen gotischen Säulen sind bemalt, alles ist mit Fresken und Verzierungen sowie Bemalungen versehen. In einem Wallfahrtsort lassen die Pilger auch viel Geld oder siedeln sich selbst an und nutzen die starke Frequentierung. Man sieht es an den teilweise prächtigen Hausfassaden – ein deutlicher Unterschied zu Xanten.

Rheinberg – Wir hätten nicht gedacht, dass uns dieser deutlich kleinere Ort so faszinieren würde. Aber auch hier gibt es eine schön sanierte Altstadt. Wir landen schließlich vor einem bemerkenswert herrschaftlichen Haus und an der historischen Holztür steht: Es ist der Firmensitz der Fa. Underberg. Ein älterer Herr, der gerade in seinen Mercedes steigen will, kommt zu uns. Später stellt er sich auf meine Frage als Herr Zehnagels vor. Er kennt sich mit dem Haus und der Firma sehr gut aus und berichtet uns einiges aus der Geschichte der Familie Underberg, aus der Firmengeschichte und aus der Ortshistorie. Im historischen Stadtgraben, der heute leider zugeschüttet ist, sei er in seiner Jugend noch mit dem Paddelboot unterwegs gewesen, berichtet er.

Es gibt noch weitere Orte in Rheinberg mit viel Geschichte und Geschichten.

Wesel – Jeder kennt den Spruch: „Wer ist der Bürgermeister von Wesel?“ und das Echo ruft zurück: „Esel!“ – Dieses Tier ist in Wesel offensichtlich zum Markenzeichen erhoben, denn überall steht er lebensgroß in Plastik und bunt bemalt. Wie der Geisbock in Kitzbühel oder Beethoven in Bonn, erinnern wir uns.

Historische Bilder zeigen, dass Wesel im 2. WK zu mehr als 90 % zerstört worden ist. So präsentiert sich die Innenstadt im 50iger-Jahre Baustil. Die große Kirche am Ende der langen Fußgängerzone wurde wieder aufgebaut, auch sie ist beeindruckend, aber mit Kevelaer und Xanten nicht zu vergleichen, obwohl die Stadt mit ca. 60.000 Einwohnern deutlich größer ist.

Bislicher Insel

Das Gebiet ist eines der vielen Naturschutzgebiete beidseits des Niederrheins. Die Bislicher Insel liegt unweit Xanten, für uns also gut erreichbar. Ein asphaltierter Weg führt durch das Gebiet und zwei Aussichtspunkte mit Schutzhütte liegen an der Strecke. Größere Seen und Wasserläufe, die für uns nicht zugänglich sind, gehören sicher zu den Altarmbereichen des Niederrheingebietes und sind Naturgebiete mit einer vielfältigen Tierwelt. Eine Infostation am Beginn der Strecke unterrichtet über die vielfältigen Pflanzen- und Tierarten im Biotop.

Leider ist das Wetter kalt und windig, es fängt leicht an zu regnen, so dass wir uns erst einmal in der Infostation aufwärmen – nein, informieren. Es ist eine sehr gute und umfassende Darstellung des Naturschutzgebietes Bislicher Insel, die gar keine richtige Insel ist.

Das Gebiet ist eine der größten Auelandschaften am Unteren Niederrhein und liegt zwischen Ginderich und Xanten. Die Bislicher Insel misst ca. 12 Quadratkilometer, 10,53 km2 sind davon Naturschutzgebiet. Entstanden ist das Gebiet durch die Flusslaufänderung des Rheines, aber die Flussbegradigungen durch Friedrich den Großen um 1788 haben dazu beigetragen, dass der Altrheinbereich seine Entwicklung neben dem großen Strom vollzog. Es ist heute eine riesige Naturlandschaft aus großen Rasenflächen, Wasserarmen, hauptsächlich bewaldet mit großen Weiden, Eschen und Ulmen.

Wir können nur ein wenig hineinschnuppern in diese urwüchsige Landschaft. Vor den überdachten Aussichtsständen haben wir schöne Blicke, entdecken Schwäne Graugänse, Nil- und Kanadagänse, Stock- und Löffelenten, Haubentaucher und Blässhühner, Graureiher und Kormorane.

In einer alten, abgestorbenen Weide entdecke ich ein kleines Loch, eine Blaumeise hat hier ihr Gelege und fliegt alle ca. 20 Minuten aus bzw. in ihre Nisthöhle, für mich das richtige Fotomotiv so dass ich auf dem Stativ meine D5Mark3 und das 400mm Tele in Position bringe. Dann heißt es warten.

Landschaft am Niederrhein

Leider war das Wetter zu kühl und zu windig für Touren al Rheindeich – oder wie es hier heißt am Rheindamm. So mussten wir uns immer wieder mit kurzen Ausblicken auf den sich schlängelnden Flusslauf werfen. Es ist bezeichnend: Von Bonn bis hier her sind es ca. 130 Straßenkilometer, aber rund 250 Flusskilometer!

Große Altarmbereiche oder Vorländer liegen in den Stromschleifen, das schafft gute Zeltmöglichkeiten und schöne einsame Flusskilometer in einer norddeutschen Flachlandschaft. Kein Wunder, dass die Rheinländer nicht viel mit diesem Teil ihres Stromes im Sinn haben, und aber macht es neugierig und wir planen für den Sommer eine Niederrheintour – wir werden sehen, ob etwas daraus wird.

Am Rheinufer treffen wir auf alte Bekannte: Möwen, Austernfischer, Kormorane und Graugänse. Es locken viele weiße Sandstrände oder grüne Wiesenvorländer. Aber für dieses Mal bleibt es kalt und windig und Boote und Ausrüstung sind auch nicht dabei – zum Glück, denn keiner von uns hätte den Vorschlag gemacht, alles auszupacken geschweige denn es zu nutzen.

Flammenvögel im Zwillbrocker Venn

Wild lebende Flamingos in Nordrhein Westfalen, genauer gesagt im Münsterland bei der Ortschaft Vreden direkt an der niederländischen Grenze, das kann ja wohl nur ein Scherz sein – so dachte ich zunächst, bis ich einige Artikel darüber las und immer neugieriger wurde.

Vom Niederrhein ist es eine Stunde Autofahrt bis ins Münsterland zum Ort Vreden. Die Strecke führt per Navi sogar ein kleines Stück durch niederländisches Gebiet, dann zurück nach Deutschland und danach nur ein kleines Stück weiter – das Zwillbrocker Venn ist längst angezeigt. Wir lassen uns von den Hinweistafeln zur Biologischen Station leiten und erreichen sie problemlos.

So ganz ist man sich bis heute nicht sicher, woher sie gekommen sind , aber seit 1982 kommen sie regelmäßig aus ihren Winterquartieren, und die sind gar nicht so weit entfernt: Das Ijsselmeer und das Rheindelta. Meist von März bis September sind sie an dem flachen Lachmöwensee. Rund 5.000 Tiere zählt die Lachmöwenkolonie, die durch Ihren Koteintrag das Wasser des Sees so nährstoffreich machen, dass sich das Plankton hier vermehrt hat und den Flamingos volle Mahlzeiten bietet. Knapp 50 rosa Langbeiner zähle ich. Es sind südamerikanische Chileflamingos, Große Flamingos und Karibische Flamingos. Deshalb haben sie so unterschiedliche Rosatöne im Gefieder. 185 ha groß ist das Venn, in das wir staunend aus der Beobachtungsstation hineinblicken. Das Vogelleben vor uns reißt mich mit und lasst mich das teilweise hektische Treiben der Niederländer, Kinder und Familien vergessen. Vor mir in gut 100 m Entfernung tummeln sich die Lachmöwen, Graugänse, Enten und Flamingos. Das letzte Mal habe ich sie in der Camargue erlebt – und das ist mehr als 4 Jahrzehnte her. Im Frankreich Almanach (Martin Schulze, Umschau Verlag, 1984) habe ich unsere Flamingo Begegnungen beschrieben, nicht ohne zu erwähnen, dass bereits die Römer in der Antike die Köstlichkeit einer Flamingozunge zu schätzen wussten. So berichtete Plinius, dass Marcus Gajus Apicinus, der berühmte Schlemmer aus der Zeit des Augustus und Tiberius, diese Delikatesse für die kaiserlichen Festmähler entdeckte. – Welch ein Glück, dass diese kulinarische Mode heute.

Von Delikatessjägern unbehelligt durchwaten vor uns die herrlichen Tiere auf ihren rosa Stelzbeinen das seichte Wasser. Ihr Gefieder ist von einer außerordentlich zarten Schönheit. „Flammenflügler“ nannten die Griechen den Vogel – phoenicopterus; mittelalterliche Naturforscher gaben ihm den Namen „Flambant“, die Ornithologen „flamant“, doch in der lateinischen Klassifizierung hat sich der alte Name erhalten: phoenicopterus ruber – Großer Flamingo.     Es sind wohl die malerischsten und elegantesten Vögel, die wir kennen. Die Umschlagseite von „Knaurs Wasser- und Watvögel der Welt“ ziert ein rosa Flamingo. Den Biologen und Systematikern haben sie so manches Rätsel aufgegeben. So hat man sie früher den Enten- oder sogar den Hühnervögeln zugeordnet, doch dürften sie eher mit den Störchen und Sichlern verwandt sein. Die Zeit am Beobachtungsstand ist vergangen, ohne dass ich es merkte, doch beim Zurückwandern zum Auto zittere ich vor Kälte und Anspannung und bin froh, dass Anke und Werner meine Ausrüstung tragen.  Noch lange schwirren mir die „Flammenvögel“ im Gedächtnis herum, aber wir schafften es dieses Mal nicht, ein zweites Mal an den großen Vogelsee zu kommen.