Schottland – Sturmfahrt ins Paradies – Bei Windstärke acht zum Bass Rock

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Der Bass Rock ist ein Basaltklotz, steil und kahl ragt er aus der Nordseebrandung vor der schottischen Küste

Das soll das „Paradies“ sein? -Ich gestatte mir leichte Zweifel. Eugen Schuhmacher, der Tierfilmer, hatte vielleicht eine eigene Vorstellung von paradiesischen Zuständen.

Dieser Sache will ich auf den Grund gehen, für Paradiese bin ich ohnehin immer zu haben, besonders für Seevogelparadiese. Baßtölpel zum Streicheln nahe erleben zu können, das klingt vielversprechend, gerade weil diese Meeresvögel an den Küsten Norwegens, Schottlands und Irlands sonst sehr scheu sind.

Einige Tage hält uns „Auld Reekie“ gefangen -das alte, verrauchte Edinburgh. Als wir schießlich genug Kostproben in den alten Pubs genommen haben, die am Sonntag sowieso knappere Schankstunden haben (die alte puritanische Lust am Verzicht!), fahren wir schließlich nach North Berwick, nur einen Katzensprung von Edinburgh entfernt. Die Fischerstadt ist Ausgangspunkt für unsere Tour zum Bass Rock. Wir fahren über eine ,,Nebenstraße“, finden aber eine breit ausgebaute Rollbahn und landen in einem der mondänsten Seebäder Schottlands. Golf – schottischer Volkssport, gäbe es den Fußball nicht – diktiert hier die Szene, denn Berwick ist nicht nur Badeort, sondern auch Golfer-Treffpunkt. Auf der Suche nach einem halbwegs ruhigen Zeltplatz landen wir schließlich fünf Kilometer östlich der Stadt, aber auch hier haben wir Schwierigkeiten, die Heringe in den felsigen Boden zu bekommen.

Dafür ist der Boden aber auch geschichtsträchtig: TantalIon Castle – besser: dessen ehrwürdige Ruine, ist liebevoll gepflegt und teilweise restauriert ­einstmals mächtiges, bedeutendes Gemäuer, eine nahezu „uneinnehmbare“ Festung, erbaut von den Douglas im vierzehnten Jahrhundert, aber vom englischen General Monk 1651 dann doch erobert und zerstört.

Steil stechen die Uferfelsen in die Brandung, der Blick gleitet weiter über das Mündungsgebiet des Firth of Forth. Im blauen Dunst ist der jenseitige Uferstreifen eben noch zu sehen, im Nordosten liegt die offene Nordsee.

Der ,,Blanke Hans“ zeigt sich von seiner rauhen Seite. Trotz des ablandigen Westwindes herrscht hoher Seegang, weiße Schaumkämme, soweit das Auge reicht. Da liegt der Bass Rock, 107 m hoch, fast senkrechte Wände und kahle, weißgefleckte Felsen; ein großer, weißer Leuchtturm auf dem mächtigen Brocken, ein Bollwerk, nur zweieinhalb Kilometer vor der Küste.

Aber da ist noch so ein seltsames Flimmern in der Luft um den Felsen; Punkte, bei deren Anblick -durchs Fernglas betrachtet -mir die Spucke wegbleibt: Hunderte, ja tausende von Vögeln sitzen dicht an dicht auf den Felsen, ein weißer, lebender Federteppich auf dem dunklen Basalt. Darüber schwebt eine gefiederte Wolke.

Wenig später sitze ich in meinem Kajak -Windstärke sechs, schätze ich, noch zu schaffen bei der kurzen Entfernung. Anke hatte verzichtet. „Der will doch wohl nicht bei dem Wetter ..“ sagen wohl die am Ufer stehenden Schotten und schütteln die Köpfe, ich schnappe das Wort „atrocious weather“ auf -„grauenhaft“ zu viel mehr Gemütsbewegung lassen sich die daran Gewöhnten kaum hinreißen. Es ist Niedrigwasser, überall in Ufernähe ragen Klippen, schützen mich vor dem Seegang -vorerst, ich weiß -die Ruhe täuscht. Und dann -mit einem Paddelschlag, mit einem Windstoß bin ich aus dem Schatten des Steilufers heraus. Mit brechenden Wellen, die von hinten über das Boot rollen, muss ich mich jetzt herumschlagen.

Nordsee ist Mordsee, dass man immer auf den ablandigen Wind hereinfällt! Verdammt, das muss mehr sein als Windstärke sechs. Das schiebt mich zwar mächtig vorwärts, aber es ist auch ein irrsinniges Getümmel, ich muss bremsen, abstützen. Es dauert glücklicherweise kaum zwanzig Minuten ­aber so schnell kommt man nicht ins Paradies. Die Wellen donnern furchterregend gegen die Felsen, der Brandungsgürtel scheint keine Lücken zu haben. „Schwierige Landung“, dieser Hinweis in einem Reiseführer bezieht sich auf ruhige Wetterlagen; ist bei diesem Wetter eine Landung unöglich? Die einzige Stelle, von der aus die Insel überhaupt zugänglich ist, liegt auf der Südostseite, glücklicherweise im Windschatten. Dennoch, die Dünung rollt um die Klippen herum bis in die kleine Bucht hinein, mit einem regelrechten und nicht zu unterschätzenden ,,Fahrstuhleffekt“. Den Absprung muss man wie beim Paternoster schaffen, sonst gibt’s nicht nur nasse Füße.

Im richtigen Moment springe ich auf die in den Fels gehauenen Stufen. Aufatmen, geschafft – wenigstens der erste Teil. Um mich herum „Schnee­gestöber“: Hunderte von weißen Vögeln, ihr Geschrei übertönt das Donnern der Brandung. Luft, Wasser, Felsen, überall Vögel; Lummen, Tordalken, Krähenscharben, Möwen, Baßtölpel und immer wieder Baßtölpel. Eine paradiesische Eintracht. -Nicht einmal ich, der Mensch, stört. Strenge Schutzbestimmungen garantieren diese Zustände. Also muss ich mich erst bei den Leuchtturmwärtern melden, ehe die Fotopirsch beginnen darf.

Den Gesichtern nach zu urteilen, hatten sie bei diesem Wetter nicht mit einem Besucher gerechnet. Bei leichterer See bringen Motorboote aus North Berwick andere Vogelnarren zu dem Felsen, doch bei dieser Brise werden keine Touren gemacht.

„What-you came by canoe?!?“-Sie glauben es erst, als sie meinen Kajak unten auf dem Felsen liegen sehen.

„Yeah – of course…“ Herumlaufen, Beobachten ist möglich, nur soll ich mich nicht vom Felsen herunterpusten lassen. Und darin liegt die Haupt­schwierigkeit. Ängstliche Naturen könnten an die alten skandinavischen Sagen denken, in denen der Sturm allzu Vorwitzige von den Klippen in die See fegte-auch an Hitchcock’s „Vögel“. ..

In den Felsen gemeißelte Stufen und Trampelpfade kennzeichnen den Rundweg. Eine zugige Angelegenheit, dafür mit unglaublichen Ausblicken aus hundert Meter Höhe auf die schottische Küste, die aufgewühlte See, den Felsen selbst. Doch so ganz kahl ist dieser Bass Rock nicht, stelle ich fest. Da stehen sogar Häuser, oderbessergesagt Ruinen ehemaliger „Crofts“, Katen ­aber vor allem eine alte Festung, eine Kapelle, ein Gefängnis. Aus letzterem sollen 1691 fünf Jakobitenoffiziere ausgebrochen sein, die Besatzung überwältigt und dann mehr als hundert Tage die Insel verteidigt haben. Ich frage mich, wie die Tausende von Vögeln wieder zu ihren Eiern oder Jungtieren zurückfinden: Rund achttausend Baßtölpel-Brutpaare mit den Jungen, dazu andere Federträger -das sind mindestens zwanzigtausend Vögel, dicht an dicht! Eine Vogelgroßstadt -mit allem, was dazugehört ­Lärm, Hektik, Platznot! So etwas habe ich noch nicht erlebt, auch nicht an den Vogelfelsen Norwegens oder Spitzbergens. Und alles hautnah! Wieder denke ich an Hitchcocks „Vögel“, obwohl der Vergleich absurd ist, dieses Vogelvolk mich nicht nur nicht bedroht, sondern mich nicht einmal wahrzunehmen scheint.

Die Baßtölpel gehören in die Gruppe der Pelikane, Kormorane oder Fregattvögel; sie haben schwarze Flügelspitzen und einen langen, spitzen Schnabel; sie sind doppelt so groß wie Silbermöwen und mit keinem anderen Seevogel zu vergleichen. Wie Pfeile schießen sie auf der Jagd nach Fischen ins Wasser, oft aus dreißig Meter Höhe – ein tatsächlich atemberaubendes Schauspiel. Aus ein paar Meter Entfernung versuche ich, einige Aufnahmen aus der Kinderstube der Gefiederten zu machen.

Seit undenklichen Zeiten leisteten sie einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der Küsten-und Inselbewohner -,,zum Essen leicht angebraten“ wurden sie unter dem Namen „Solan-Gans“ auf den Märkten des achtzehnten Jahrhunderts verkauft.

Als sie auch auf der königlichen Tafel auftauchten, meinte jedoch Charles II: „Zwei Dinge hasse ich an diesem Schottland: Baßtölpel und den Pakt mit der katholischen Liga“. Haut und Innereien der Vögel enthalten viel Öl, „sehr nützlich in der Anwendung bei Gicht sowie gegen eine Vielzahl anderer Krankheiten der menschlichen Hüften und Leisten“.

Damit ist es nun -glücklicherweise für die Baßtölpel-vorbei. Der Mensch tut ihnen, zumindest auf diesem Felsen, nichts mehr. Der englisch „gannet“ Genannte erscheint nur zur Brutzeit auf Bass Rock, das einzige Ei wird im Mai gelegt, das dann beide Partner, die fürs Leben zusammenbleiben, gemeinsam ausbrüten. Der große Vogel mit seiner Flügelspannweite von zwei Metern kann die Ruhe des Paradieses, oder zumindest die dieser Oase der Tierwelt, dank der so überaus aktiven Naturschützer Britanniens genießen.

Eine Sturmbö reißt mir fast den Fotoapparat aus der Hand -keine Zeit für weitere Überlegungen und Beobachtungen, der Sturm scheint noch weiter zugenommen zu haben. Den Leuchtturmwärtern scheint es etwas mulmig zu sein bei dem Gedanken an meine Rückfahrt, sie versprechen, mich zu beobachten.

Dann bin ich wieder unterwegs zurück zum Festland -kämpfe mich durch die Brecher, genau gegen den Wind. Dem Gegner ins Gesicht zu sehen, direkt gegen ihn vorzugehen, ist härter, aber besser, als sich von hinten wie ein Spielzeug schieben zu lassen. Zentimeter für Zentimeter komme ich der Küste näher. Die Gischt brechender Wellenkämme fetzt mir ins Gesicht, verklebt die Augen, kaltes Seewasser läuft den Rücken runter trotz der fest verschnürten Paddeljacke. Die Brecher werfen das unbeladene, leichte Boot wie einen Federball hin und her. Das Paddel wird mir in den rasenden Böen fast aus der Hand gerissen.

Rund um das Paradies ist der Teufel los! Die mächtige Ruine des TantalIon Castle ist meine Landmarke, die ich schließlich erreiche -zwanzig Minuten habe ich für die Hinfahrt gebraucht, fünfmal solange für die Rückfahrt. Im Lee des hohen Steilufers Ende einer Sturmfahrt? Noch nicht ganz… „Well done!“ empfängt mich ein Mann der Küstenwacht. Man hatte ihn alarmiert, weil man mich in Lebensgefahr glaubte. Gefährliche Klippen, starke Strömungen, Windstärke acht… „Very dangerous indeed!“ meint der Mann und knarrt die schottischen „r’s“ womöglich noch tiefer als gewöhnlich. Er ermahnt mich, von einer Weiterfahrt abzusehen -aber das hatte ich nun wirklich nicht mehr vor ­Anke rührt schon einen steifen, heißen Toddy aus wenig Wasser, viel Honig und noch mehr Whisky…