„İstanbul’u Dinliyorum“ – Ich höre Istanbul

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Der türkische Dichter Orhan Veli Kanik beschreibt in seinem Gedicht „İstanbul’u Dinliyorum“ („Ich höre Istanbul“) auf eine unvergleichlich gefühlvolle Art und Weise die sprudelnde und brodelnde Millionenmetropole am Bosporus. Er hört die Schreie der Vögel, fühlt den leichten Wind auf der Haut, riecht den Schweiß der Arbeiter von den Docks und schmeckt noch den Rakı vergangener Feste. Mit all seinen Sinnen erlebt er intensiv und betörend seine Heimatstadt und doch kommt es einem vor, als würde dieses Stück türkischer Lyrik aus einer längst vergessenen und vergangenen Zeit stammen.

Der Taksim-Platz erlangte weltweite Aufmerksamkeit durch die Proteste 2013.

Das Moderne Istanbul beeindruckt mit einer Vielzahl an modernen Gebäuden, Prachtplätzen und Baustellen. Das Wirtschaftswachstum der Türkei zeigt auch hier seine Auswirkungen. Die alte Bausubstanz, bestehend aus klassischen Holzhäusern, weicht den modernen Hochhäusern und Betonbauten. Dabei dominierten sie bis ins 19. Jahrhundert hinein das Stadtbild von Istanbul. Einige kann man heute noch in der Nähe der Universität und der Chora-Kirche finden, sie wirken aber eher wie etwas unglückliche Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit.

Ein Überbleibsel vergangener Zeiten, eingeklemmt zwischen modernen Gebäuden.

1717 beschrieb die damalige Frau des britischen Botschafters am Osmanischen Hof, Lady Montagu, die traditionellen Holzhäuser in einem Brief wie folgend:

Mir scheint die hiesige Bauart sehr angenehm und sehr passend für dieses Land. (…) Das Vorhaus hat einen großen Vorhof und rundherum offene Galerien, was ich sehr angenehm finde. Diese Galerie führt zu allen Zimmern, die gewöhnlich sehr groß sind und zwei Reihen Fenster haben, die untere aus gemaltem Glas. Selten gibt es mehr als zwei Stockwerke, von denen jedes seine Galerie hat. Das Vorhaus gehört dem Herrn, und das daran stoßende wird der Harem (die Weiberburg oder Frauenzimmerwohnung) genannt, weil das Wort Serail nur für den Großherrn gebraucht wird…Die zweite Fensterreihe ist sehr niedrig und mit Gittern wie in den Klöstern versehen. Alle Fußböden der Zimmer sind mit persischen Teppichen belegt. In der Runde herum läuft eine Art Ruhebett, einen halben Fuß hoch, mit reichen seidenen Stoffen bedeckt. Diese Sitze sind so bequem und weich, dass ich glaube, ich werde in meinem Leben keine Stühle mehr ausstehen können. 1

Hasret ist das türkische Wort für Sehnsucht und das Motiv vieler türkischer Chansons.

Die Faszination, welche Lady Montagu für das türkische Mobiliar hat, habe ich für das türkische Essen und die zahlreichen Süßspeisen und kleinen Vorspeisen, Mezze genannt, entwickelt.

Die türkische Küche ist bekannt für ihre Vielfalt und so reichen ein paar Tage kaum aus, sich durch die Speisekarten der Restaurants zu arbeiten. Besonders die mit Zimtreis, Kräutern und Zitrone, süß-herzhaft abgeschmeckten, gefüllten Miesmuscheln (Midye Dolma) haben es mir angetan. Für mich eine absolute Delikatesse und ein beliebter Street Food-Snack in Istanbul. Bei dieser Vielfalt kann man sich einen ganzen Abend nur an Mezze, türkischem Rotwein, welcher eher vollmundig, traubig und schwer schmeckt, aber dadurch meiner Meinung nach hervorragend zur türkischen Küche passt, Brot, Oliven und Cremes satt essen. Ein passendes Restaurant hierfür ist beispielsweise das Karaköy Lokantası, im gleichnamigen Stadtteil Karaköy, neben der Galata-Brücke, am Wasser, gegenüber der historischen Altstadt mit ihrem verwirrenden Sackgassensystem gelegen.

Die Promenade des Stadtteils Karaköy.

So kann man nach einem opulenten Mahl und dem obligatorischen Verdauungs-Rakı noch einen kleinen Spaziergang am Wasser entlang unternehmen, bevor man sich Richtung Galata-Turm, die Stufen hocharbeitet. Rund um den Galata-Turm befinden sich nämlich viele Weinlokale, Kneipen und kleine Läden und es wimmelt hier nur so vor Menschen. Die Stimmung ist gut, es weht ein lauer Abendwind und aus den Lokalen hört man laut die Livemusik. Neben den Klassikern wie Kebap und Cigköfte, gibt es hier in den schmalen Gassen auch Restaurants mit typisch osmanischer Küche, welche auf mich etwas bodenständiger wirkt. Eintöpfe, Brot und Cremes bilden hier aber auch ein schmackhafte und abwechslungsreiche Auswahl.

Etwas weiter gen Norden, die Haupteinkaufsstraße İstiklal Caddesi entlang, liegt das altehrwürdige Grand Hotel De Londres, welches sich den Charme vergangener Tage erhalten hat. Es würde einen nicht wundern, wenn man in Anlehnung an den Film „Casablanca“ an der Theke auf Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in ein Gespräch vertieft treffen würde. Auch hier kann man den Sound von Istanbul hören, denn die stilvolle Halle der Cocktailbar, ich habe gehört, dass auch der Balkon sehr schön sein soll, da man einen weiten Blick über die Stadt haben soll, lädt in regelmäßigen Abständen zu Konzerten ein. Diese besondere und inspirierende Atmosphäre scheint auch Fathi Akin dazu bewegt haben, seine Hommage „Crossing the Bridge“ über die istanbuler Musikszene zu kreieren (https://www.sueddeutsche.de/kultur/fatih-akins-film-crossing-the-bridge-ich-rocke-also-bin-ich-1.413744).

Müßiggang mit Çay, Tagebuch und Blick auf das Wasser in einem kleinen Kaffee in Karaköy.
Vertonung des beliebten Istanbul-Gedichts auf Türkisch

Ich höre Istanbul – Orhan Veli Kanık (1941) 3

Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Zuers weht ein leichter Wind,
Leicht bewegen sich
Die Blätter in den Bäumen.
In der Ferne, weit in der Ferne.
Pausenlos die Glocke der Wasserverkäufer.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

 
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
In der Höhe die Schreie der Vögel,
Die in Scharen fliegen.
Die großen Fischernetze werden eingezogen,
Die Füße einer Frau berühren das Wasser.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

 
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Der kühle Basar,
Mahmutpascha mit dem Geschrei der Verkäufer,
Die Höfe voll Tauben.
Das Gehämmer von den Docks her;
Im Frühlingswind der Geruch von Schweiß.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

 
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Im kopf den Rausch vergangener Feste.
Eine Strandvilla mit halbdunklen Bootshäusern,
Das Sausen der Südwinde legt sich.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

 
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ein Dämchen geht auf dem Gehsteig.
Flüche, Lieder, Rufe hinter ihr her.
Sie läßt etwas aus der Hand fallen,
Es muß eine Rose sein.
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.

 
Ich höre Istanbul, meine Augen geschlossen.
Ein Vogel zappelt an deinen Hängen.
Ich weiß, ob deine Stirn heiß ist oder nicht,
Ich weiß, ob deine Lippen feucht sind oder nicht.
Weiß geht der Mond hinter den Nußbäumen auf,
Ich weiß es von deinem Herzschlag.
Ich höre Istanbul.

Quellen:

1: https://www.schwarzaufweiss.de/istanbul-reisefuehrer/traditionelle-bauten.htm

2: https://www.turkedebiyati.org/istanbulu-dinliyorum-orhan-veli/ (Original)

3: http://www.orhanveli.net/yukselpazarkaya/ichhoreistanbul.html (Deutsche Übersetzung)

Empfehlungen zum Thema Istanbul:

  • Hasret – Sehnsucht: ein arthouseartiger Dokumentarfilm, der keiner ist, über Istanbul. Schwermütig, nachdenklich, aber sehr beeindruckend und mit einer wundervollen Musikauswahl. (https://youtu.be/_COUI8M5Jo0)
  • Crossing the Bridge von Fatih Akin: eigentlich könnte man hier alle Filme von ihm nennen, aber dieser setzt sich sehr differenziert mit dem Thema der Musikszene in Istanbul auseinander und thematisiert auch die Auswirkungen der Kultur und Politik auf selbige. Ein Film, der tiefe Einblicke gewährt und die Protagonisten und ihre Zeit ungeschönt porträtiert. (https://youtu.be/fV3v5scd6EE)
  • Istanbul – Erinnerung an eine Stadt (İstanbul – Hatıralar ve Şehir) von Orhan Pamuk: Der international bekannte Schriftsteller beschreibt wortgewaltig und sehr ausführlich seine Kindheit in Istanbul. Er wächst wohlbehütet in einem wohlhabenden Elternhaus auf und stellt somit keine dramatische Kindheit in Armutsverhältnissen dar, trotzdem ist es ein empfehlenswerter Zeitzeugenbericht. (ISBN: 9783446208261)