Momente – neben der Spur Teil 1: Allein auf der Spitze – den Göttern so nah

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Reiseerlebnisse der besonderen Art

Ein Freund hat uns einmal gefragt warum macht ihr das eigentlich? In der Weltgeschichte herumfahren, ohne Komfort, oftmals allein in der Wildnis oder in unbekannten Regionen?

Es ist egal ob man hierauf eine kurze Antwort gibt oder lange Ausführungen zum Thema des Erfahrens und der Freiheit gibt. Viele werden die Antwort verstehen, nicht alle werden sie akzeptieren oder eine ähnliche Meinung vertreten. Deshalb soll nicht nur die eine Sichtweise als richtig oder falsch eingestuft werden. Das Reisen sollte so gestaltet werden, wie man es für sich selbst am besten empfindet. Bei uns sind es Reisen, die oftmals Erlebnisse der besonderen Art mit sich bringen. Es ergeben sich Momente, die neben der Spur liegen und auch nicht so einfach oder auch manchmal gar nicht wiederholbar sind.

Allein auf der Spitze – den Göttern so nah

Wir hatten uns entschlossen, unserer Hochzeitsreise 1979 nach Ägypten zu machen. Unvergessliche Erlebnisse in Kairo, Gizeh und Luxor zu sammeln und die Schätze der vergangenen Jahrtausende vor Ort zu erleben, davon hatten wir lange geträumt.

Ägypten ist ein Land in dem Altertum und Moderne sich begegnen und gleichermaßen um die Aufmerksamkeit werben. Und der Zauber, den dieses Land ausübt, lässt den Besucher fast vergessen, wie weit die Zeit der Pharaonen schon zurückliegt“, schreibt Christine El Mahdy in ihrem Buch „Tutanchamun“ und sie berichtet über eine Zeit vor mehr als 4500 Jahren.

Für uns beginnt der Tag erst einmal im Hotel mit einem ägyptischen Frühstück: Ful Medames und Fladenbrot, erst danach geht es für uns etwas normaler weiter. Aber die Ful, rote Kidney-Bohnen die mit Olivenöl und etwas Salz gekocht, mit Salz Pfeffer etwas Chili, Essig und Olivenöl gemischt und warm serviert, sind seitdem unser Familien-Spezialfrühstück.

Unsere Erkundungen begannen damals wie in einem Indiana-Jones Film:

„Im ägyptischen Museum in Kairo arbeiten wir uns durch die Schätze der Vergangenheit. Die in den Reiseführen beschriebene Enge in den teils düsteren Räumen ist allgegenwärtig. „Rumpelkammer“ wäre zwar etwas übertrieben, aber der Begriff kommt in manchen Ecken des Museums dieser Beschreibung schon sehr nahe. Unser Augenmerk gilt den Sarkophagen, Statuen und den Fundstücken aus dem Bereich Gizeh und Sakkara. Das Obergeschoss bringt dann die ganz große Besonderheit: Die Sammlung aus dem Grab von Tut-Ench-Amun oder Tutanchamun und der Mumiensaal, schreibe ich in mein Tagebuch.

Seit der Entdeckung des Grabes des Kindkönigs Tutanchamun durch Howard Carter 1922 ist so vieles geschrieben und beschrieben, dass ich dem nicht noch etwas hinzufügen möchte.

Wir tauchen hier in eine Welt ein, die weitaus magischer und märchenhafter erscheint, als alle Märchen, die wir kennen – fremd und exotisch, aber auch sehr nahe, denn es waren keine Fabelwesen sondern Menschen, denen wir hier gegenüberstehen. Aber nicht nur das strahlende Gold der Totenmaske von Tutanchamun zieht uns in seinen Bann.

Uns zieht es vor allem auch an die Orte außerhalb der Museen, dort wo die Wirkungsstätten der Pharaonen waren, die natürlich insbesondere auch geprägt und im Jahresverlauf bestimmt waren durch den Nil. Dieser beeindruckende Fluss fasziniert uns immer wieder. Mit 6852 Kilometern ist er der längste Fluss der Erde. Würde er von seiner Mündung ins Mittelmeer noch einmal so weit nach Norden fließen, er würde bis zum Nordpol reichen. Seine Quellflüsse beginnen in den Bergen von Ruanda, Burundi und Tansania sowie auch im Norden Äthiopiens. Er ist ein Fremdlingsfluss, Diarheischer Fluss, der aus vielen Quellen gespeist die Wüste mit Wasser versorgt – ein Mythos umgibt diesen Fluss, dem auch wir uns nicht entziehen können.

„Es ist wieder ein tolles Erlebnis, außerhalb der großen Stadt Kairo die Landschaft der Niloase zu erleben. Die Menschen wohnen und leben in einfachen braunen Lehmhütten am Rande der Straße oder zwischen den mit Palmen bewachsenen Uferbereichen. Wasserbüffel, Esel, Kamele sind die üblichen Arbeitstiere, die sehr exotisch auf uns wirken. Zuckerrohrpflanzungen und die verschiedenen Palmenarten vervollständigen das Bild. Dazwischen fliegen weiße Reiher umher, sitzen in Scharen auf den Feldern und am Rande der Bewässerungsanlagen“, schreibe ich am 28.12.1979 in mein Tagebuch.

Besonders beeindruckend ist es in der Dämmerung, wenn die Sonne untergeht und die weißen Reiher im goldenen Abendlicht wie Perlen auf den großen Bäumen am Nilufer ihre Schlafbäume beziehen. Das Licht der untergehenden Sonne verwandelt den Fluss in einen goldenen Strom. Der Mythos Nil hat uns gefangen. Er wird auch als ein „Geschenk der Götter“ bezeichnet. Und den Göttern oder ihren Abbildungen begegnet man bei der Spurensuche des alten Ägyptens ständig.

Diese Spurensuche führte uns sehr schnell zu den monumentalen Bauwerken am Rande der Großstadt Kairo, zu den Pyramiden von Gizeh.

Galten die Bauherren, die Pharaonen, im alten Ägypten als Götter? Nach heutigen Erkenntnissen gelten sie als Mittler zwischen den Menschen und Göttern. Den Pharaonen wurden zwar gottgleiche Eigenschaften zugeschrieben, aber sie blieben immer noch Menschen. Doch wie schaffte es der Pharao Cheops, ein Bauwerk errichten zu lassen, das hier im Wüstensand von Gizeh seit 4.500 Jahren steht?

Es wimmelt von Touristenfängern mit Pferden und Kamelen. Aber die Kamele sehen mit ihren gespaltenen Oberlippen so aus, als würden sie über die Touristen lachen, die auf ihrem Rücken im Passgang wie auf einem Wüstenschiff durch den Wüstensand schaukeln wollen.

Wir begeben uns lieber alleine und zu Fuß auf Erkundungstour, stehen erst einmal und staunen. Natürlich kennen wir die Pyramiden, aus Beschreibungen, Bildern und Dokumentationen. Aber jetzt stehen wir vor ihnen. Mit 230,4 m Kantenlänge, heute noch 139 m Höhe und einem Volumen von 2.600.000 cbm ist es bis heute eines der mächtigsten Steinbauten der Menschheit. Erst die chinesische Mauer (220 v Chr.) übertraf in ihrer Baumasse die Cheops-Pyramide. Der Eiffelturm setzte bei seiner Eröffnung 1889 mit 312 m Höhe eine neue Höhenbestmarke.

Nur so zum Vergleich: Heute steht das höchste Gebäude, der Burj Khalifa, in Dubai, 2010 gebaut. Es wurden insgesamt 330.000 cbm Beton, Stahl und andere Materialien verbaut. 22 Mio. Arbeitsstunden wurden benötigt, in Spitzenzeiten waren 12.000 Arbeiter am Bau beschäftigt – und an der Cheops-Pyramide?

Man hat errechnet, dass die größte der insgesamt 38 begonnenen ägyptischen Pyramiden, die Cheops-Pyramide, ein Volumen von 2.600.000 cbm aufweist. Laut den wissenschaftlichen Auswertungen waren 45.000 Arbeitskräfte ständig im Einsatz. Die Bauzeit betrug 25 Jahre vom 2606 bis 2581 v Chr. Napoleon soll einmal ausgerechnet haben, dass die Steine der drei Pyramiden von Gizeh ausgereicht hätten, um eine Mauer, die drei Meter hoch und 0,30 m breit ist, um ganz Frankreich zu errichten.

Die Frage, ob es Sklaven oder Handwerker waren, welche die jahrelangen Arbeiten durchführten, wurde erst vor wenigen Jahren durch den Fund einer Inschrift auf einem Steinblock geklärt: „Die Freunde des Cheops“ stand darauf. Die gefundenen Nahrungsreste wie Brot, Bier, Knochen von Vögeln und Rindern lieferten Hinweise, dass hier keine Sklaven, sondern hoch angesehene und gut bezahlte Handwerker am Werke waren.

Die Ägypter nannten die Pyramiden „mer“, Platz des Aufstiegs, des Himmelaufstiegs des toten Pharao.

Zwar war der Aufstieg zum Zeitpunkt unseres Besuches nur mit Führer erlaubt, aber wozu sollte ich einen Führer anheuern, ich wusste doch, wo oben ist. Trotzdem stand ich bald etwas ratlos am Fuße des Bauwerks. Bei einer ursprünglichen Höhe von insgesamt 146,6 m und den ermittelten 210 Steinschichten bedeutete es, dass 210 Stufen vor mir lagen mit Stufenhöhen zwischen 60 cm und 100 cm, nach heutigem Treppenstufenmaß, also jeweils drei bis fünf Normstufen je Schritt. Es wurde also eher ein Klettern als ein Aufstieg, um dem Himmel näher zu kommen. Steinquader für Steinquader mussten erklommen werden.

2.300.000 Steinblöcke jeweils zwischen 2,5 t bis 7,5 t schwer hatten die Ägypter präzise im Steigungswinkel von 52 Grad aufgeschichtet. Im Tagebuch beschreibe ich meinen Himmelsaufstieg zur Spitze der Cheops-Pyramide, dass sie „leicht an der Nordwestkante zu besteigen war“.

Aus knapp 140 m Höhe über dem Wüstensand war ich nicht nur den Göttern näher gekommen, sondern ich hatte einen tollen Ausblick auf Kairo, die zwei weiteren Pyramiden und die Sphinx. Allein in der Höhe stellte ich mir die Frage: Was trieb die Pharaonen neben der Machtdemonstration zum Bau derartiger Monumente? Und was brachte sie zu dieser besonderen Bauform? Die Pyramiden sind wohl als Doppelsymbol zu verstehen. Die Form symbolisiert den lebensspendenden Strahlenfächer der Sonne. Und gleichzeitig symbolisiert das Bauwerk den festen Urhügel im Chaosmeer des Schöpfungsmythos und stellt so das Fundament aller kosmischen Ordnung dar.

Allein und wie ausgesetzt stehe ich auf der Spitze dieses Weltwunders, des letzten, der ehemals sieben Weltwunder der Menschheit und blicke auf die benachbarten Pyramiden: Macht, Statussymbole und religiöse Symbole der Gottkönige Chefren und Mykerinos, der Sohn des Chefren. Aber fern in der Wüste nähert sich eine graue, merkwürdige Wand: ein Sandsturm. Es wird Zeit zum schnellen Abstieg – habe ich die Götter gereizt? Bald stecken wir in einem kräftigen Sandsturm und die Pyramiden verschwinden im graubraunen Pulversand, der aufgewirbelt in alle Poren und Öffnungen dringt. Aber ich hatte es rechtzeitig geschafft, auf der Spitze der Cheops-Pyramide zu stehen. Auch wenn ich inzwischen weit höher im Himmel war – per Interkontinentalflug in 10.000 m Höhe zum Beispiel, habe ich dennoch das Gefühl: Nie war ich den Göttern (des alten Ägyptens) so nahe. Und es war ein besonderer ergreifender Moment, fast im Himmel zu sein.

Ein Nachtrag

Inzwischen ist diese Reise 43 Jahre her. Die Pyramiden stehen natürlich immer noch, aber die „Rumpelkammer“ des Ägyptischen Museums in Kairo ist mehrmals umgestaltet worden.

Derzeit jedoch gibt es eine besonders aktuelle Neuerung, die eine Ägyptenreise zu einem einzigartigen Erlebnis werden lässt: Am 30. September 2022 ist die Eröffnung des neuen Grand Egyptian Museums (GEM) bei Gizeh geplant. Dieses gilt derzeit als das größte Museumsbauprojekt der Welt.

An dem 2002 international ausgelobten Architektenwettbewerb beteiligten sich insgesamt 1577 Büros aus 83 Ländern. Das Dubliner Architekturbüro Heneghan Peng (Büros in Dublin und Berlin) wurde zum Sieger gekürt. Die Grundsteinlegung 2005 erfolgte zum Bau eines neuen Haupt- und Konferenzzentrums mit diversen Nebenanlagen, Gärten, Parkplätzen und weiteren Einrichtungen. Rund eine Milliarde Dollar sollen die Baukosten betragen. Die Gestaltung der Ausstellung obliegt dem Stuttgarter Atelier Brückner auf 40.000 Quadratmeter reiner Ausstellungsfläche und einer Gesamtfläche von 90.000 Quadratmeter mit über 50.000 Exponaten.

Die ursprünglich 2018 geplante Eröffnung soll nun am 30.09.2022 stattfinden. Rund 15.000 Besucher sollen sich danach täglich auf dem Gelände aufhalten.

Die Zeiten für einsame Pyramiden-Besteigungen und Gipfelmomente auf der Spitze der Cheops-Pyramide – Momente, um dem Himmel so nah zu sein, gehören sicher der Zeit im vorigen Jahrhundert an.