Momente – neben der Spur Teil 2: Im Leuchtturm inmitten der See

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Im Leuchtturm inmitten der See

Wer häufig per Kajak an Küsten im Norden und Süden unterwegs war oder noch ist, für den ist das Erleben von einsamen Küstenbereichen kaum etwas Besonderes. Und dennoch gibt es Erlebnisse und Momente, die so kaum noch wiederholbar sind.

Es ist das Wattenmeer mit seiner einzigartigen Schönheit, das uns seit früher Kindheit, besonders aber seit 1967 mit dem Kajak fasziniert. Die himmlischen Kräfte von Mond und Sonne schaffen mit den Gezeiten einen vielseitigen, dynamischen Lebensraum und eine der letzten großen Naturlandschaften Europas.

Etwa 450 km lang ist das Nordseewatt zwischen der dänischen Stadt Esbjerg und dem holländischen Den Helder. Der größte Teil liegt an der deutschen Küste von Borkum bis Sylt. Genauer gesagt: Das Wattenmeer erstreckt sich zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln, eine von den Gezeiten, von Ebbe und Flut, geprägte Landschaft. Sie weist eine Dynamik auf wie kaum eine andere Region. Fortwährend ändern sich Priele, Sandbänke und Inseln. Der Wind trägt dazu bei, dass Dünen und ganze Inseln wandern.

Wir sind damit aufgewachsen, dass sich die Gebiete vor den Deichen ständig verändern: Die Wasserfläche bis zum Horizont wandelt sich wie von Geisterhand in Schlick- und Sandflächen, die durchzogen sind von Wasserläufen, den Prielen. 3,6 m beträgt der Tidenhub in Bremerhaven – unvorstellbare Wassermassen werden durch die Gravitationskraft des Mondes und der Sonne ständig im 6-Stunden-Zyklus hin und her bewegt, reißen Schlick und Sand mit sich und verlagern alles an andere Stelle. Kein Wunder also, dass die Küstenschifffahrt vor dem Problem stand, die richtigen Wege zu den Häfen zu finden. Schiffswracks sind noch heute Zeugnisse derartiger Gefahren für die Schifffahrt.

Gut 30 Kilometer sind wir von Bremerhaven weserabwärts Richtung Nordsee gepaddelt. Der mäßige Wind blies uns zwar ins Gesicht, aber die Strömung war mit bis zu 6 km/h so stark, dass wir problemlos weiter in Richtung offene See hinaus paddelten. Die Außenweser öffnet sich hier zu einem breiten Mündungstrichter. Vorbei ging es an den markanten Leuchttürmen Robbenplate, Meyers Ledge und Eversand.

Die Teilungstonne des Weser/Elbe-Fahrwassers, die zu dem Leitsystem der Küstenseeschifffahrt gehört, haben wir hinter uns. Sind wir noch auf der Weser oder schon auf der Nordsee?

Es ist einsam auf der weiten Wasserfläche. In der Ferne ziehen die großen Pötte, Frachter und Fähren, an uns vorbei. Erst spät rollen die Schiffswellen, die Bug- und Heckwellen, unter unseren kleinen Booten hindurch. Um nicht zu weit hinaus zu treiben, wird es Zeit für einen Kurswechsel.

„Warum paddelst Du so merkwürdige Umwege?“ fragte uns einmal ein noch unkundiger Paddelkamerad, während wir im Zickzackkurs durch das Watt fuhren und ständig den Kurs wechselten. Noch war das Watt überspült, die Wasserfläche schien endlos weit zu sein, fast eintönig. Wir allerdings folgten dem Verlauf eines Prieles. Bald tauchten Sandbänke neben uns auf, das Wasser hat sich von Minute zu Minute zurückgezogen und nur noch im Priel ist genug Wasser unter dem Kiel unseres Kajaks. Wir lassen uns trocken fallen und steigen auf dem harten, feinen Sand aus. Jetzt ist Pause angesagt, bis das Wasser wieder kommt. Bald hallen die Rufe der Silbermöwen über das Watt, mit trippelnden Schritten suchen sie an der Wattkante nach Krebsen, Wattwürmern und Schwemmgut. Seeschwalben sind die wahren Flugakrobaten vor uns und trippelnde Austernfischergruppen bilden das muntere Fußvolk. Wir merken, dass die Vogelinsel Mellum nur wenige Kilometer entfernt das Brutrevier tausender Seevögel ist, die jetzt im Watt auf Nahrungssuche sind.

Vor uns liegen jetzt keine Wasserflächen mehr, sondern endlos erscheinende Sandflächen und Watt.

Markant erhebt sich ein roter Leuchtturm über das Watt; der Leuchtturm Hoheweg – unser Ziel.

Leuchttürme stellen nicht nur imposante Bauwerke dar, sondern das Wichtigste am Leuchtturm ist das Licht, das Leuchtfeuer, vermutlich so genannt, weil es früher eine offene Feuerstelle auf einem Turm war.

Der „Pharos von Alexandria“ gilt als der erste Leuchtturm der Welt und zählt – wie die Pyramiden von Gizeh – zu den sieben Weltwundern der Antike. Über seine Höhe streiten sich die Gelehrten, 60 m bis 170 m Höhe lauten die Schätzungen. Aber hoch oben loderte eine große offene Feuerstelle, das erste Leuchtfeuer der Welt, erbaut um 280 v. Chr. Im Jahr 1326 zerstörte ein Erdbeben das Weltwunder.

Die Leuchttürme der Wesermündung haben dagegen eine viel jüngere Geschichte. In der Bremischen Weser-Chronik (Quelle: Die Unterweser Chronik eines Stromes und einer Landschaft, Eilers & Schünemann Verlagsgesellschaft mbH, Bremen 1968) wird beschrieben:

„1697: Auf Smidts Steert wird die Bremer Bake errichtet, die erste winterfeste Bake und Vorläuferin des Hoheweg Leuchtturms.“

Es ist ein wichtiger Wegweiser für die Fahrt weseraufwärts nach Bremen und den Häfen der Unterweser, denn die Chronik vermeldet:

„1696: 12 bremische Schiffe haben 117 Wale gefangen. Bei unveränderter Schiffszahl werden 1698: 108 Wale,1700: 62 Wale erlegt (Im April 1959 bringt ein 15.000 BRT großes norwegisches Walfangmutterschiff, zu dem 11 Fangboote gehören, 13.000 Tonnen Walöl nach Brake. In den 164 Seetagen sind 1600 Wale gefangen und an Bord verarbeitet worden.“

Auch wenn die Chronik hier die schaurige Walfangzeit in Erinnerung ruft (siehe hierzu auch den Artikel: „Giganten der Meere“), so zeigen die Zahlen die Bedeutung einer sicheren Einfahrt in die Weser für die Fischerei- und die Frachtschifffahrt.

Aber erst etwa 150 Jahre später, im Jahr 1854, begann man mit dem Bau des Leuchtturms Hoheweg. Die Bremische Chronik schreibt dazu:

„1854: In gefährlicher und mühevoller Arbeit wird der Hoheweg-Leuchtturm erbaut.

1856: Seine Lampen werden anfangs mit Walöl, später mit Petroleum gefüllt.

1857: Der Handel mit den Vereinigten Staaten hat weiterhin zugenommen, in den letzten zehn Jahren hat sich der Wert der Einfuhr fast verfünffacht, der der Ausfuhr ist fast auf das Dreifache gestiegen.“

Auch die Gründung der Stadt Bremerhaven 1827 als Fischerei- und Handelshafen Bremens hat sicher die Bedeutung der Wesermündung gestärkt. Ab 1832 entwickelte sich Bremerhaven zum wichtigsten historischen Auswandererhafen Europas. Von 1852 bis 1890 wanderten von hier aus rund 1,2 Millionen Menschen aus. Bremerhaven, das „Tor zur neuen Welt“ und die Weser als einziger von Zöllen freier deutscher Strom machten die Markierung des westlichen Fahrbahnrandes der Außenweser so wichtig, dass man sich entschloss, einen 36 m hohen, festen Leuchtturm auf der Sandbank Hohe Weg, 3 km östlich  von der Insel Mellum und 25 km nordwestlich vor Bremerhaven zu errichten.

Zeichnung oben Urheber: w:de:Jakobus Johannes von Ronzelen, Gemeinfreies Werk wegen Ablauf der Urheberrechtlichen Schutzfrist

Insgesamt 120 je 4,5 m lange Holzpfähle wurden in den Sand gerammt und auf diesen Fundamenten wurden die Baracken der Arbeiter und ein gemauerter Turmfuß errichtet. Der achteckige Turm aus Hartbranntziegeln (er wurde erst viel später 1996 mit roten Aluminiumplatten verkleidet) erhielt zwei stählerne Galeriegänge. Ein bisschen wie „Huckepack“ sieht der zweigeschossige Anbau an den achteckigen Turm aus. Eine Zisterne, Lagerräume und mehrere Stuben für bis zu vier Leuchtturmwärter sind im Turm vorhanden.

Wir nutzen die Zeit des Niedrigwassers, um den kurzen Weg über den jetzt trockenen Sand zum Leuchtturm zu gehen. Natürlich haben die stationierten Leuchtturmwärter uns längst beobachtet. Hatten sie vielleicht schon viel früher vom Leuchtturmwärter auf Robbenplate Meldung über uns erhalten?

„Moin, moin“, werden wir freundlich begrüßt. Die Leuchtturmwärter kennen uns schon, freuen sich über Abwechslung und über die mitgebrachte Buddel Rum. Eine Übernachtungsmöglichkeit im Turm haben sie auch für uns: Zwei Kojenbetten hinter einem Vorhang im Wendelgang des Turmes.

Viel Zeit haben wir jetzt nicht. Die Zeit des Tidenwechsels ist vorbei und das Wasser steigt wieder unaufhaltsam über dem Watt. Also geht es schnell zurück zu den Booten. Mit der Flut lassen wir uns an den Turm treiben und müssen jetzt die Ausrüstung und Boote auf die Anlegebrücke des Turmes hieven. Denn das ist eine markante Besonderheit des Hoheweg-Leuchtturms: Auf der südwestlichen Seite des Turms gibt es eine Anlegebrücke, auf der 1893 ein Signalgerüst als Windanzeiger gebaut wurde. Ein 19,3 m hoher Zeichenträger, ein Semophor, mit je zwei 4,5 m langen Zeigern, welche die Windrichtung auf Borkum (B) und Helgoland (H) weithin sichtbar anzeigten. Sechs je 1,5 m lange Klappflügel zeigten die Windstärke eins bis zwölf an, um so das Wettergeschehen in der deutschen Bucht für die Schiffe im Weserfahrwasser deutlich zu machen.

Erst als unsere Boote sicher vertäut auf der Anlegebrücke lagen, haben wir Zeit für den Leuchtturm und seine Bauwerke, die inzwischen zu einer Insel geworden waren – inmitten der See.

Für die zwei Leuchtturmwärter war der Turm mehr als nur ein Arbeitsort – er war wie eine zweite Heimat. 14 Tage Landurlaub, dann 14 Tage Dienst auf diesem winzigen Vorposten in der Nordsee, das war der Rhythmus dieser Männer, eine lange einsame Wacht auf See.

„Das Schönste ist die Ruhe, keine Hektik. Es ist wie auf einem anderen Stern.“ – Auch wir versinken mit unseren Gedanken in eine weite Ferne, die für unsere Augen jetzt über das Meer bis zur Grenze des Horizonts reicht. Die untergehende Sonne versinkt am Horizont des weiten Meeres, in dem wir wohlbehalten, aber einsam auf unserer Leuchtturm-Insel sind. Alles übt auf uns eine magische Faszination aus.

Bis uns ein Ruf aus der Kombüse aus den Träumen reißt: Der Eintopf für alle ist fertig. „Dieses Mal also kein Labskaus“, raunt mir mein Paddelkamerad leise zu. Dann sitzen wir am Tisch in der kleinen Küche und nach dem deftigen Eintopf ist der steife Rum-Grog an der Reihe. Und dazu gibt es von uns die neuesten Berichte vom Festland und von unseren Gastgebern hören wir reichlich Seemannsgarn. Es wird ein langer Abend auf dem Leuchtturm inmitten der See.

Das Wasser bleibt ruhig, nur leise gluckst es am Anlegesteg durch den leichten Wellengang. Kein Möwengeschrei und kein schrilles Rufen der Seeschwalben durchbrechen die Stille und die schmale Mondsichel bringt nur eine dürftige Reflexion auf das Wasser.

Über uns in 29 m Höhe strahlt das weiße Leuchtfeuer 19,5 Seemeilen, 36,1 km, weit über das Meer. Der grüne Sektor leuchtet 30 km und der rote 27,8 km weit über das Wasser. Auch Leuchtfeuer der benachbarten Leuchttürme sind zu sehen. Sogar der weiße Blitz des Seefeuers Leuchtturm Helgoland ist zu erkennen. Es ist das stärkste Leuchtfeuer auf deutschen Leuchttürmen, das bis zu 52 km weit zu sehen ist. In diesen Momenten könnte es auch das Lichtsignal aus einer anderen Galaxie sein bei unserem „Weltraumflug“. Denn durch den dunklen Nachthimmel und die ebenso dunkle ruhige Wasserfläche verschwinden das Oben und Unten und das Gefühl, auf einem irdischen Bauwerk zu stehen, auf einem Leuchtturm mitten im Meer und im Meer unserer Erinnerungen und unserer Träume.

Nachtrag

Das Betreten von Seezeichen ist verboten, so dass eine Wiederholung derartiger Erlebnisse ausgeschlossen ist. Die Fotos stammen aus dem privaten Archiv und dokumentieren überwiegend Fahrten und Situationen aus den Jahren 1969 bis 1972.

Weitere Infos

Übernachtungen auf dem Hoheweg-Leuchtturm sind schon lange nicht mehr möglich. Die Beschreibung basiert auf Tagebuchaufzeichnungen und Erinnerungen aus den Jahren Ende der 1960iger/Anfang 70iger Jahre. 1972 erfolgte die Stilllegung der Semophor-Anlage erheblicher Rostkorrosion. 1976 wurde diese Anlage demontiert und in Teilen in das Deutsche Schifffahrtsmuseum Bremerhaven gebracht. Der Leuchtturm Hoheweg wurde 1973 als letztes aktives Leuchtfeuer voll automatisiert und von Bremerhaven fremdüberwacht, so dass die Leuchtturmwärter überflüssig wurden.

Siehe auch: Artikel unter www.kvu.der-norden.de „12 historische Leuchttürme“