Hört ihr Leut und lasst euch sagen …

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Touren in Franken

Die Kirchenglocke schlägt gerade zur vollen Stunde, als wir mit Tempo 30 über das Pflaster rollen- Der Anblick nimmt uns sofort gefangen: Mittelalterliche Fachwerkhäuser stehen beidseits der Hauptstraße. Am Brunnen vor der alten Schmiede machen wir Halt. Vor der kleinen Bäckerei sitzen ein paar Einheimische und begrüßen uns freundlich. Nur verstehen können wir sie kaum – an den fränkischen Dialekt müssen wir uns wohl erst gewöhnen. Also grüßen wir freundlich zurück, verzichten aber auf die Frage nach dem Gasthaus, in dem wir die versprochenen Winzerbetten für die nächsten Nächte nutzen wollen.

Eigentlich hatten wir nur vor, auf der halben Strecke von Bonn in den Bayerischen Wald (siehe Artikel Wald-Geschichten) eine Übernachtungspause einzulegen, aber dieses fränkische Kleinod hat uns auf der Hinreise so gefangen genommen, dass wir uns jetzt auf der Rückreise etwas mehr Zeit nehmen.

Stadtsanierung und Denkmalschutz haben offenbar dazu beigetragen, dass uns diese kleine Altstadt verzaubert – wir sind in Prichsenstadt. Sie ist eine der kleinsten Städte in Franken, so klein, dass man sich schnell und gut zurechtfindet und so beziehen wir erst einmal ein schönes Zimmer ein paar Treppen aufwärts im alten Winzerhotel direkt am Stadtturm.

Der Blick aus dem Fenster lässt mich wieder einmal nicht nur in die alten Zeiten der Fachwerkhäuser hineinträumen. Es werden auch viele herrliche Erinnerungen an Fahrten wach, denn wir befinden uns hier unweit von Würzburg und der Mainschleife. Wohl rund ein Dutzend Fahrten waren es, welche Freundin Eva für uns organisiert hat – traumhaft schöne Kajaktouren und so sind es auch diese Erinnerungen, die wie ein Film in meinen Gedanken wiederkehren – ein Kultfilm!

„Das Boot“, dieser Klassiker und Kultfilm kommt mir in den Sinn – „Kult“ war auch unsere Pfingsttour auf dem Main und das große Meeting in „unserem“ Boot. Es ist ein auf dem Trockenen liegendes, inzwischen marodes Holzboot auf dem Zeltplatz in Frickenhausen am Main. Die Mannschaft: Bis zu 18 Kanuten aus ganz Deutschland – aus dem VKBonn, aus Köln, Düsseldorf, Neuss, Bamberg, Leipzig, Chemnitz, München und von der Schwäbischen Alb. Die 6. Maintour dieser Art war 2013 – es war nicht die letzte.

In meinem Erinnerungstraum spult sich die Fahrt in lebhaften Bildern weiter ab:

Die Tour beginnt dieses Mal in Schwarzenau, Flusskilometer 298,6. Das Maiwetter zeigt sich endlich einmal von seiner besseren Seite. Für uns hat das Regenwetter der vergangenen Tage auch seine gute Seite: Der Main strömt mit guter Geschwindigkeit, und das ist bei dem stark regulierten Fluss eine Besonderheit. Wir haben eine 27 km-Strecke vor uns und freuen uns deshalb auf die Unterstützung durch die Strömung. Mit ca. 7 bis 8 km/h paddeln wir stromab.

Nach wenigen Kilometern passieren wir den Ort Dettelbach. Er ist eigentlich einen Halt wert, aber nach nur 4 km können wir noch keine Pause einlegen. So bleibt das altertümliche Städtchen mit seiner Stadtmauer, den Wehrtürmen und Stadttoren heute rechts liegen und verschwindet bald hinter uns, verdeckt durch die hohen Uferbäume, die jetzt das Mainufer säumen.

Es gibt auf unserer Strecke heute noch weitere hübsche Mainorte: Da ist bei Flusskilometer 286 der Ort Kitzingen. Und bei Flusskilometer 282 liegt Sulzfeld. Die kleine Stadt Sulzfeld kennen wir von früheren Touren. Eigentlich ist es eine Pflicht, hier eine Besichtigungstour einzulegen, so sehenswert ist die mittelalterliche Stadt. Auch sie ist umgeben von einem gut erhaltenen Mauerring mit 3 Toren und 18 Türmen. Die alte Pfarrkirche und das Renaissance-Rathaus lohnen eine Besichtigung. Und wer nicht so Architektur-versessen ist, der findet hier eine kulinarische Besonderheit: Bratwürste meterweise!

Der Fluss durchströmt herrliche Landschaftsbereiche. Graureiher, Kuckuckrufe und ein vielstimmiges Singvogelkonzert begleiten uns bei herrlichem Sonnenwetter.

Bei Flusskilometer 277 liegt rechts der Ort Marktbreit. Ein alter Kran steht markant am Mainufer. Die mittelalterlichen Straßenräume sind beeindruckend, fotogene Fachwerkbauten und das Renaissance-Rathaus – all das lohnt einen Stopp. Die gemütlichen fränkischen Gasthäuser, mit herrlichem Bacchus-, Silvaner- oder Riesling-Wein – es gab einmal eine Tour, da wären wir in dieser Stadt fast hängen geblieben…

Heute geht es weiter bis Flusskilometer 272,2 Frickenhausen. Der Zeltplatz liegt sehr ruhig und versteckt am rechten Mainufer und zum Essen spielt eine Trachtenkapelle mit alten Schlagern auf. Aber das Besondere dieses Zeltplatzes ist wie schon beschrieben „unser“ Boot. Alle finden sich hier nach dem Essen zu einem Boots-meeting ein. Noch lange sitzen wir in lustiger Runde bei Silvaner und co. und schwärmen von Paddeltouren und Abenteuern rund um den Globus. Wenn 18 Kajakfahrer zusammen kommen – da wird ein Paddlergarn gesponnen … bis weit nach Mitternacht.

Es fällt etwas schwer, am nächsten Morgen rechtzeitig aufzustehen, aber die Sonne weckt uns, und das ist in diesen kalten und regenreichen Maitagen schon eine Freude. Die Trachtengruppe von gestern Abend spielt heute zur Pfingstpredigt. Zum Glück haben wir unsere Bratkartoffeln und Spiegelei verspeist, als die Predigt beginnt.

Vor uns liegen heute zwei Schleusen und insgesamt 18 km Strecke. Die Sonne strahlt vom fast wolkenlosen Himmel, nur ich merke die gestrigen Kilometer. Aber Anke ist fit wie ein Turnschuh!

Die Strecke ist sehr schön: Hohe Bäume säumen die Ufer. Schilfrohrsänger, Singdrosseln, Amseln und Grünspechte geben uns ein lautes Konzert. Kuckuckrufe erschallen – eine tolle Stimmung – auch an Bord unserer kleinen Boote.

Auch heute fahren wir an interessanten historischen Orten vorbei wie zum Beispiel Ochsenfurt bei Stromkilometer 271,2. Der Kanuführer vermerkt hierzu: Rathaus von 1488 mit Stunden-, Datums- und Mondanzeiger, darunter Figuren und Monduhr, Pranger mit Hand- und Halseisen, Taubenturm mit unterirdischen Gefängnissen. Bestand das Mittelalter eigentlich nur aus solchen eher grausamen Dingen?

Wir fahren da lieber weiter, passieren die Schleuse Großmannsdorf und kommen zu einem lustigen Doppelort: Rechts am Fluss liegt Sommerhausen und links liegt Winterhausen – der Geburtsort einer Mitpaddlerin. Da werden Erinnerungen wach.

Wir legen einen Landgang 2 Kilometer weiter ein: Stromkilometer 263, landen rechts an einem kleinen Sandstrand vor der historischen Stadt Eibelstadt.

Ein kurzer Fußweg bringt uns zur historischen Altstadt. Durch eins der drei Stadttore betreten wir die Gassen der Altstadt. Auch hier sind die alten Befestigungsanlagen mit Mauer und Rundtürmen gut erhalten und lohnen den kurzen Landgang. Aber die meisten von uns wollen gar nicht die historischen Bildstöcke und Standfiguren oder das spätbarocke Rathaus besichtigen, sondern es hat sich herum gesprochen, dass es gute fränkische Küche und herrliche Kuchenbuffets in den Gasthäusern gibt.

Als sich alle wieder bei den Booten einfinden, hat sich das Wetter dramatisch verschlechtert: kräftige Windböen, düstere Wolken, in der Ferne donnert es. Das angekündigte Schlechtwetter zieht auf. Weiter geht es deshalb in Öljacken.

Vor der Schleuse Randersacker entdecke ich in den Kronen der hohen Platanen auf der Schleuseninsel eine Saatkrähenkolonie. Bis zu 15 große Nester zähle ich in einzelnen Bäumen, und das raue „Kräh-Kräh“ schallt über die Schleuse.

Von Randersacker bis Würzburg ist es nicht mehr weit, bald taucht hoch oben die Festung auf und kurz davor ist unser Ziel: der DKV-Zeltplatz Würzburg. Gerade noch rechtzeitig stehen alle Zelte, dann zieht das Regenwetter auf und kräftige Schauer prasseln auf die Planen. Unsere Träume vom sonnigen Pfingsten versinken in den Sturzbächen, die das Regenwasser in den Main führen.

Am nächsten Tag liegt unsere längste Strecke vor uns: 27,4 km sind es von Würzburg bis Karlstadt, Stromkilometer 226,4. Das Wetter hat sich doch besonnen, bei Sonnenschein starten wir unsere Tour. Der Main hat noch eine bessere Strömung als gestern, schnell sind die drei Kilometer bis zum Würzburger Wehr gepaddelt. Das Schleusen dauert dieses Mal etwas länger. Per Telefon haben wir uns immer angemeldet, jetzt müssen wir jedoch warten, da ein Passagierschiff gerade bergan geschleust wird. Dann paddeln wir in die große Schleusenkammer und lassen uns ca. 4 m absenken.

Es folgen einige Kilometer mit Industrie- und Gewerbeanlagen an den Ufern, dann wird es wieder einsamer und naturnaher. Vogelstimmen schallen von beiden Seiten zu uns auf den Fluss. Ein Graureiher hat einen großen Aal geschnappt – er passt nicht quer in den Schnabel und der Vogel müht sich ab, ehe er die sich windende Beute verschlucken kann – Zeit für mich, die Szene auf dem Chip fest zu halten.

Bei km 249,1 passieren wir Himmelspforten mit dem Karmelitinnenkloster, 2 km weiter liegt auf der linken Seite das Kloster Oberzell. Die Industrieanlagen mit ihren hässlichen Zweckbauten entwerten leider die Situation und die Blicke auf die historischen Bauwerke. Bei km 244 fahren wir an dem Ort Veitshöchheim vorbei. Unsere Freunde, die heute nicht die Bootsperspektive gewählt haben, schwärmen uns später von dem Barockschloss und der prächtigen Gartenanlage vor (Siehe Artikel: Der märchenhafte Main).

Bald beherrschen auf der rechten Flussseite schroffe Steilfelsen die Landschaft. Wir blicken auf Jahrmillionen Erdgeschichte, die Gesteinsschichten und Ablagerungen sind an der steilen Abbruchkante markant zu erkennen. Der Main hat hier über Jahrmillionen sein großes Maindreieck in die Muschelkalkplatte hinein gegraben. Unzählige Meerestiere der Urzeit bilden den Muschelkalk, der eine ideale Grundlage für den Weinanbau bietet, Stammt die Feurigkeit und die große Stärke des Mainweines von dem vielen Leben, das hier im Muschelkalk eingeschlossen ist? – Wir werden diesen Weingeist auch weiter erforschen …

Die letzte Staustufe Himmelstadt bei km 232 nehmen wir links mit der kleinen Bootsschleuse – genau 9 Boote passen hinein, d. h. für uns reicht sie gerade aus. Dann geht es weiter bis Karlstadt. Jetzt beziehen wir den Zeltplatz am Ruderclub und freuen uns, dass das Wetter wieder einmal gnädig mit uns war.

Auch Karlstadt zählt zu den sehenswerten Mainstädten. Die Altstadt gehört zu den eindrucksvollsten altfränkischen Ensembles. Der Reichtum der Stadt begründet sich aus dem Weinanbau… und der Name? Dieses Mal ist es nicht der große Karl, der seine Spuren hinterlassen hat, denn Karlstadt ist erst eine Gründung aus den Jahren 1198 bis 1202. Die hoch über der Altstadt thronende Karlsburg gab der Stadt den Namen und dieser wird abgeleitet aus dem Namen: „Burg der starken Kerle“. – Als das fühlen wir uns auch – Starke Kerle mit 72,2 Mainkilometern unterm Kiel.

„Detlef, Deeetlef…“ – weckt mich Anke etwas unsanft aus meinen Träumen und Erinnerungen. Aber wir habe noch einiges vor, denn schließlich gibt es noch mehr historische Orte, die wir hier in Franken besichtigen wollen. Volkach zum Beispiel. Die Zweitorestadt liegt auf einer hochwasserfreien Terrasse und entstand in seiner heutigen Form aus dem 12. und 13, Jahrhundert. Aus der großen römisch-katholischen Pfarrkirche St. Bartholomäus und St. Georg schallt Orgelmusik. Der Organist sitzt hoch oben an der 1726 im barocken Gehäuse eingefassten Orgel, so dass wir die barocken Innenausstattungen, die Wandverzierungen und Putten bei Orgelkonzert bewundern können.

Immer wieder weisen Schilder an den Häusern darauf hin, dass es Winzerhäuser sind. An den historischen Bürgerhäusern ist abzulesen, dass es ein wohlhabendes Erbe war, das der jahrhundertelange intensive Weinbau hier hinterließ.

Aber auch die kleineren Orte wie zum Beispiel die Gemeinde Markt Einersheim haben ihre besonderen Reize. Es sind die Reste der ehemaligen Kirchenburg und der früheren Ortsbefestigung mit den Torhäusern aus dem 14. Jahrhundert sowie einige alte Fachwerkhäuser, die hier zu sehen sind. Das gewaltige Bauwerk des Schlosses Einersheim, erbaut 1685 von Schenk Vollrath von Limpurg, versteckt sich fast am Markt hinter großen Bäumen.

Da wir jetzt außerhalb der Saison und zu spät für die normale Mittagszeit keine geöffnete Gaststätte finden, fahren wir weiter. Auch Iphofen ist eine Stadt im unterfränkischen Landkreis Kitzingen. Mit dem malerischen und vollständig erhaltenen mittelalterlichen und barocken Altstadtensemble bildet Iphofen einen besonderen historischen Anziehungspunkt. In den Prospekten lesen wir, dass sich die rund 5000 Einwohner „Iphöfer“ nennen. Uns interessiert jetzt mehr das historische Erbe der Stadt. Die Altstadt ist noch nahezu vollständig von einer Doppelmauer aus dem 13. Jahrhundert mit Gräben und Stadttoren umgeben. Die mächtige Stadtpfarrkirche St. Veit, als gotische dreischiffige Hallenkirche 1414 erbaut, und der große Marktplatz mit dem Marienbrunnen und einem schönen Ensemble alter Fachwerkhäuser lassen uns fast vergessen, dass wir noch immer kein Essen bekommen haben. Aber das lässt sich hier am Markt schnell ändern.

Für ein üppiges Schäufele-Essen ist es nicht die richtige Tageszeit, aber in Franken gibt es überall Bratwürste, die nach detaillierten Vorschriften über Länge, Form und Inhalt exakt bestimmt werden. Heute reichen sie uns mit Sauerkraut und Brot ehe es wieder zurück geht in unsere kleine Traumstadt, in die wir uns trotz der vielen Konkurrenz durch die anderen schönen unterfränkischen Orte inzwischen ein bisschen verliebt haben.

Oder ist es nur der Wein, der uns hier besonders gut schmeckt? Wer in einem Winzerhaus einkehrt, im Winzerbett aufwacht, ein herrliches Winzerfrühstück bekommt – das ist ein Frühstück mit 3 (!!) Eiern, gekocht, gerührt oder gespiegelt – der landet unweigerlich spätestens am Nachmittag im Weinkeller bei einer Weinprobe. Schließlich muss durch die eigenen Sinne geprüft werden, welcher Rebensaft am meisten mundet. Diese Frage kann ich allerdings so schnell nicht klären und als ich mich nach Silvaner, Riesling, Müller Thurgau, Kerner und Bacchus immer noch nicht entscheiden kann, meint die Winzerin resolut zu mir: „Nun trinken Sie aber mal aus, damit ich weiter einschenken kann.“ Bei solch klarer Ansage ist Widerspruch zwecklos, und so geht es weiter mit den Rotweinsorten: Spätburgunder, Cabernet Dorsa und Regent. Mehr als zehn Flaschen stehen inzwischen auf dem Probiertisch, als ich endlich zu einer Entscheidung komme: Es ist der Silvaner, der uns am besten zum Spargel schmeckt, der Bacchus für danach, der Regent für weitere schöne Stunden …- Ich werde wohl alle Sorten mitnehmen und zu Hause weiter probieren, nur keinen Riesling, den trinken wir am liebsten von unserem Moselfreund. Aber der Frankenwein hat es uns angetan und bei all den unterschiedlichen Rebsorten kommt noch ein weiteres Entscheidungsproblem hinzu: Schmeckt der Frankenwein besser, wenn er aus einem fränkischen Bocksbeutel kommt?

Bei all den komplexen Fragen und den Versuchen, eine schlüssige Antwort zu finden, ist es dunkel geworden, aber unser Tag in Prichsenstadt ist noch nicht zu Ende.

Die Glocke der Turmuhr zeigt mit vier Glockenschlägen die volle Stunde an, dann ertönt der sonore, volle Klang der großen Turmuhr acht Mal. Eine dunkle Gestalt kommt im Schein seiner Kerzenlaterne mit langsamen Schritten heran.

„Hört ihr Leut und lasst euch sagen: unsere Glock hat acht geschlagen. Habet acht auf Feuer und das Licht, dass unserer Stadt kein Leids geschicht.

Menschenwachen kann nichts nützen, Gott muss wachen, Gott muss schützen.

Herr, durch Deine Güt´ und Macht schenk uns eine gute Nacht!“

Den Beginn des Nachtwächerliedes kennt fast jeder, aber zu dem Refrain gibt es 12 Strophen. Es ist der Nachtwächter von Prichsenstadt, der mit uns durch die Gassen zieht. Die Spitzen seiner Hellebarde funkeln im Kerzenschein der Laterne und sein großes Horn baumelt vor der Brust. Zwei Mal bläst er ins Horn, dann beginnt sein Rundgang durch die nächtlichen Gassen.

Viele Geschichten werden erzählt. Es geht durch die schmale „Arme Sündergasse“, durch welche die Verurteilten zum Eulenturm und weiter zum Galgen außerhalb der Stadt geführt wurden. Uns gruselt es leicht beim Anhören der mittelalterlichen Bräuche. Immer wieder bleibt der Nachtwächter stehen und erzählt die Geschichten der alten Fachwerkhäuser und ihrer Bewohner. Die Geschichten des ehemaligen Schlosses und des Freihofes, auf dem es ein Asylrecht für Menschen, die ohne Vorsatz einen Mord begannen hatten, als Zufluchtstätte gab, sind besonders spannend. Es gibt so viele Geschichten über die ehemals kaiserliche, später markgräfliche Kleinstadt, die ursprünglich nur ein vom Wald umgebener Schafhof – Brichsenhof – gewesen sein soll. 1258 wird das Dorf Brisendorf erstmals in einer Urkunde erwähnt. Gut 100 Jahre später erhob Kaiser Karl IV Brichsendorf zur Stadt und es wurde daraus Prichsenstadt. Es waren teilweise schwere Zeiten, die die Bewohner der Stadt durchmachen mussten: Mord, Plünderungen und Brandstiftung durch 6000 kaiserliche Soldaten 1632.

Das Flackern der Kerze unseres Nachtwächters verstärkt die nächtliche, unheimliche Atmosphäre und lässt uns erschaudern.  Wieder schlägt die Kirchturmuhr zur vollen Stunde und der Nachtwächter singt sein Lied:

„Hört Ihr Leut und lasst euch sagen …“

Wir werden es vermissen, wenn wir wieder zu Hause sind.