Weites Land – Touren in Friesland

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Berühmt durch weltweit bekannte Maler, durch romantische Grachten, Yacht- und Kutterhäfen, durch Sammelplätze von Wildgänsen und Limikolen – das ist Friesland oder Fryslan.
Friesland, eine Symbiose zwischen Land und Wasser? Oder ist es eher ein Kampf des Menschen gegen das Wasser?
Das Februarwetter mit Wind und Regen ist nicht gerade Urlaubswetter, aber die Mischung aus Kultur und Natur hat es uns angetan. So wollen wir sie dieses Mal wieder erkunden, die Häfen, Grachten und Orte am IJsselmeer sowie die Naturschutzgebiete und Sammelplätze der nordischen Wildgänse. Da muss doch für jedes Wetter etwas dabei sein – ist die Hoffnung.


Es ist jetzt Anfang Februar, absolute Nebensaison, wir werden es noch zu spüren bekommen. Aber dafür sind alle Verkehrswege frei und selbst die Autobahnen, die sonst gen Norden voll und staugefährdet sind, können wir mit Tempomat zügig passieren. Unsere Ferienwohnung auf einem einsamen Bauernhof liegt mitten in einer weiten Wiesen- und Polderlandschaft, in welcher der höchste Punkt 27 m über dem Meer liegt und der Blick durch keinen Hügel oder Wald gestört bis zum Horizont reicht.

Oft stehen inmitten dieser Wiesenflächen kleine Gehöfte. Die alten Häuser sind eingeschossig mit riesigen Satteldächern, die bodentiefen Fenster sind ohne Vorhänge und der Blick geht frei in die Wohnbereiche hinein.
Morgens werden wir durch Pfeiflaute geweckt: Ein Trupp Pfeifenten tummelt sich auf unserer Hausgracht. Bald landen Grau-, Saat- und Kurzschnabelgänse auf den Nachbarflächen. Immer mehr Tiere werden es. Das saftige Gras lockt sie hier in die Wiesen- und Polderlandschaft Westfrieslands. Bald sind es Hunderte, wenn nicht mehr. Da ist für mich an ruhiges Frühstücken nicht zu denken.

Dabei wollen wir doch auf Erkundungstour gehen und dazu gehören nicht nur die weiten Wiesen und die Vögel, sondern auch die malerischen Orte mit ihren Yacht und Kutterhäfen, den Grachten und den kleinen Häusern.
Auf den oft schnurgeraden Straßen geht es durch eine meist baumlose offene Landschaft. Die niederländische Provinz Friesland, das westlauwersche Friesland oder auch Westfriesland ist mit rund 115 Einwohnern pro Quadratkilometer ein sehr dünn besiedelter Teil der Niederlande. Insgesamt beträgt die Einwohnerdichte in den Niederlanden mit 521 Einwohnern je Quadratkilometer mehr als doppelt so viel wie in Deutschland (338 Einwohner pro Quadratkilometer), aber in Friesland ist es eine weite leere Landschaft mit 18 Gemeinden. Das Besondere dieser Orte ist es, dass sie fast den Eindruck erwecken als ob sie alle direkt am Meer liegen – eine Symbiose von Land und Wasser. Vor oder hinter den meisten Häusern befinden sich ein Kanal oder eine Gracht, Segelboote und Motoryachten schaukeln leicht im Wasser. Die größeren Grachten weiten sich auf zu Hafenanlagen oder Yachthäfen. Immer wieder bin ich fasziniert von diesem malerischen Zusammenspiel maritimer Elemente.


Wir genießen es in Harlingen, einer 16. 000 Einwohner zählenden Stadt, Zentrum der Krabbenfischerei direkt am IJsselmeer. Die Stadt erweist sich als kaum durchschaubares Wirrwarr aus engen Gassen und Wegen entlang der Grachten, in denen die Schiffe und Boote liegen. Eine malerische Atmosphäre mit den typischen Zugbrücken, den alten Frachtschiffen und den neuen Yachten, eingerahmt durch rote und weiße ein- und zweigeschossige, meist denkmalgeschützte kleine Häuser. Obwohl alle Gebäude unterschiedlich mit ihren Giebeln und Gestaltungselementen sind, so wirken sie optisch doch ähnlich: Sie sind meist sehr schmal und die dominierenden Materialien sind rote Ziegel und Holz. Die schmalen Häuser sind Ergebnisse der Besteuerung, da der Staat früher das Gebäude entsprechend seiner Breite besteuerte. Immer wieder fällt uns auf, dass nirgendwo Vorhänge den Blick in die privaten Wohnräume verstellen. Die Erklärung für diese Besonderheit reicht bis ins Mittelalter und wird aus dem Calvinismus abgeleitet. Dieser schreibt vor, dass ehrliche Bürger nichts zu verbergen haben und dass zugehängte Fenster etwas anderes signalisieren. Ein Mythos geht auf die Zeit zurück, in der die Männer oft auch länger auf See waren, fern von ihren Ehefrauen. So konnte die freie Sicht die einsamen Damen von „unrechten“ Handlungen abhalten!


Aber unsere Blicke gelten inzwischen mehr den Straßenschildern. Bei all dem Wirrwarr von Grachten, Hafenanlagen und Gassen fällt es uns schwer, das abgestellte Auto wieder zu finden. Zum Trost gibt es zum Abendessen Nordseekrabben mit Avocado, Rollmops und geräucherten Aal. Der Fisch ist köstlich, aber jetzt im Winter sind die Fangflotten nicht unterwegs und so haben die sonst so typischen Fischbuden und Restaurants in den Hafenbereichen meist geschlossen. Was bleibt sind die Rufe der Möwen und der eiskalte raue Nordseewind – der Hauch des Atlantiks. Diesen Hauch, den nahezu ständigen Wind zu nutzen, ist seit mehr als 300 Jahren in Friesland nachweisbar. Im Südwestzipfel der Provinz Friesland, dem „Waterland van Friesland“, werden insgesamt 30 Mühlen aufgelistet, die das Wasser abpumpen, Getreide mahlen oder Holz sägen, von der zweigeschossigen Galerieholländer-Mühle bis zu den kleinsten Windmühlen in den Niederlanden, den sogenannten Tjasker. Sie ist eine holländische Erfindung zum Hochpumpen von Wasser. Eine dieser kleinen Mühlen steht bei It Heidenskip, einem Weiler unweit Workum. Die große Kornmühle De Hoop, an der wir vorbei kommen, wurde 1867 erbaut und 1966 grundlegend restauriert, ein imposantes Baudenkmal in der friesischen Polderlandschaft.


Auch am nächsten Tag wollen wir Stadtbesichtigungen machen und starten in Richtung Sneek. Sie ist die zweitgrößte Stadt Frieslands mit einem der größten Yachthäfen der Niederlande. Mit 35. 000 Einwohnern ist sie wohl noch überschaubar, aber in den Sommermonaten dürften die Besucher die Einwohnerzahl um ein Vielfaches übertreffen. Die „Sneeker Woche“ Anfang August gilt als die größte europäische Segelveranstaltung in Binnengewässern, in der tausende Besucher bei der Auftaktparade die Kais säumen. Wir wollen eine kleine Stadtbesichtigung machen, aber die geldpflichtigen Parkplätze funktionieren nur mit Kartenzahlung, Funktionsbeschreibung nur auf Niederländisch, da bin ich überfordert. So bleibt es bei einer Autorundfahrt.
Sneek war einst die einzige friesische Stadt mit einer umfassenden Stadtmauer. Das berühmte Sneeker Wassertor mit seinen zwei schlanken Türmen, das Wahrzeichen der heutigen Stadt, ist der erhaltene Rest der ehemaligen Befestigungsanlagen, erbaut vor 400 Jahren. Aus dem Reiseführer erfahren wir, dass Clemens und August Brenninkmeyer in Sneek 1841 die Firma C&A Brenninkmeyer gegründet haben und die dreifache deutsche Olympiasiegerin im Eisschnelllauf Anni Friesinger hier mit ihren Mann wohnt. Das überrascht allerdings nicht, denn durch Sneek führt auch die legendäre Elfstedentoch. 1997 konnte das letzte Natureis-Langstreckenrennen wieder durchgeführt werden.


Aber an Eis und Schnee wollen wir jetzt nicht denken. Der Frühling scheint zu kommen. Auf den Wiesen erleben wir große Scharen von Wildgänsen. So sind wir am kommenden Tag zum Nationalpark Alde Feanen bei Earnewald unterwegs. Immer wieder fliegen über uns die Wildgänse vorbei, landen auf den Wiesen. Aber heute klingen ihre Rufe etwas anders. Es sind Blässgänse, die hier auf dem Weg nach Norden Station machen. Bei Earnewald erleben wir wieder diese typische Mischung aus kleinen roten Häusern und Grachten, nur die Landschaft ist anders: Statt der Wiesenflächen beginnen am Dorfrand große Schilf- und Sumpfgebiete. Immer wieder gibt es schöne Aussichten in die geschützten Naturbereiche. Silberreiher fliegen auf, Blässhühner und Stockenten schwimmen in der Gracht, dahinter erstrecken sich sehr weite unzugängliche Schilfflächen. Ein Graureiher hockt verschlafen am Schilfrand. Hier hatten wir einmal das seltene Glück, sogar eine Große Rohrdommel zu erleben. Sie nahm, als wir vorbei kamen, sofort ihre typische Pfahlstellung ein und war so optisch kaum von dem umgebenden Schilfgewirr zu unterscheiden.


An einigen Stellen liegen große abgeerntete Schilfbündel am Straßenrand. Schilfdächer oder Reetdächer gehören zu den traditionellen Dächern und hier in Friesland ist offenbar die Qualität des Schilfes noch so gut, dass es als Rohstoff geerntet wird. 1, 4 m bis 2 m lang und 3 bis 9 mm dick muss es sein. Leider sieht man nur noch wenige mit Reet gedeckte Häuser in Friesland. Über den Moor- und Sumpfflächen hören wir die Rufe großer Gänsescharen, aber sie versammeln sich nicht im Schilf, sondern auf den benachbarten Wiesenflächen. Große Trupps von Saat-, Grau- und Blässgänsen. Auf einer anderen Fläche fliegen plötzlich Weißwangengänse ein. Ein paar Nilgänse haben sich dazu gesellt. Immer wieder landen neue Gänsetrupps vor uns. Wir haben die Weißwangen- oder Nonnengänse in ihren Brutgebieten im hohen Norden, in Estland und Spitzbergen erlebt. Hier sind sie nur auf der Durchreise.


An den feuchten Stellen landet ein Trupp Kiebitze und Knuttstrandläufer, als wir am nächsten Tag wieder unterwegs sind, dieses Mal in Richtung Makkum. Der Ort mit seinen hübschen alten Häusern um den historischen Torfmarkt gebildet wieder eine tolle Mischung aus alten Häusern und Grachten mit Booten und Fangschiffen und Wasser. Man sagt, dass es in Friesland mehr Wörter für das Wasser als für Brot gibt. Bald fahren wir entlang von Kanälen, Grachten und Wasserstraßen weiter nach Süden auf einer schmalen Küstenstraße. Sie führt uns bei Warkum bis zum IJsselmeer. Jetzt ist bei eisigen Nordwestwind alles leer, aber die großen Yachthäfen und die riesigen Winterlagerplatzhallen für die Motorboote und Yachten zeigen, was hier im Sommer los ist. Ein schmaler Fußweg führt uns zu einem Aussichtspunkt mit weitem Blick über das IJsselmeer und die angrenzenden Feuchtwiesen.

Das IJsselmeer ist ein künstlich vom Meer getrennter Süßwassersee und der größte See der Niederlande. Ich lerne, dass das IJ im Niederländischen ein besonderer die „Digraph“ ist und deshalb auch das J groß geschrieben wird. Durch einen künstlichen Damm wurde aus der ehemaligen Meeresbucht an der Nordsee ein See gebildet, der sich zum Süßwassersee entwickelte. Heute ist es in dem eisigen fast stürmischen Nordwestwind so kalt, dass uns das alles egal ist und wir frierend den Rückzug antreten.


Es dämmert wieder als wir unseren Hof erreichen. Über uns ziehen laut rufend die Wildgänse entlang, ein herrlicher Sound in meinen Ohren. In unserer kleinen Ferienwohnung hören wir bei einer heißen Fleischbrühe nur noch das Rauschen der Bäume vor dem Haus in kräftigen Sturmwind.
Wir haben im Reiseführer von einer Tour zu den Museumsdörfern Exmorra und Allingawier gelesen: „Im Umland verbindet die Museumsroute zwischen Bolsward, Makkum und Workum touristisch reizvolle Ecken einer Region, die zu den wichtigsten friesischen Tierzuchtgebieten zählen. In den beiden Museumsdörfern Allingawier und Exmorra lebt die Atmosphäre vergangener Zeiten auf, sei es in der Backstube, der Dorfschule oder dem Krämerladen. Die engen Gassen schlängeln sich an den Kanälen und Wiesen entlang durch die friesische Landschaft, „Aldfaers Erf“ – das Erbe der Väter lebt“ (C.D. Sievers, Michael Müller Verlag). Die Beschreibung könnte kaum schöner klingen. Wir erleben zwei Dörfer mit eingeschossigen meist roten Friesenhäusern. Vor dem Bau der schützenden Seedeiche war Friesland oft nur schwer erreichbar. Das Seewasser der Nordsee überspülte die Landschaft und das Salzwasser bahnte sich seinen Weg. Friesland liegt bis zu 2 m unter dem Meeresspiegel. Es waren die Waterlander Bewohner dieser Landschaft, die zum Schutz der Wohnbereiche ihre Häuser auf Warften errichteten. Das kleine Dorf Allingawier bei Makkum ist ein Beispiel für ein solches Warftdorf an der Küste, die durch Einpolderung allerdings heute ca. 4 km entfernt liegt. Der Ort liegt gerade auf 30 cm Höhe über dem Meeresspiegel und zählt heute mit seinen rund 80 Einwohnern zu den schönsten Warftdörfern in Friesland.
Es wirkt, als ob wir auf dem Meeresboden entlang laufen, als wir auf dem kleinen Weg um die Kirche und den kleinen Friedhof gehen. Tausende kleiner ausgestreuter Muschelschalen knirschen unter unseren Schuhen. Einige Dohlen krächzen vom Kirchdach herunter.
In einen kleinen Krämerladen können wir hineinschauen, es ist ein Blick wie in eine vergangene Zeit. Im kleinen Hafen am Ende des Dorfes schaukeln ein paar Ruderboote und ein altes Paddelboot im Wasser. Ein Graureiher hockt wie „Hans Huckebein“ am Hafenrand. Missmutig krächzend fliegt er auf, als ich die Kamera zücke.


Unser nächstes Ziel ist der Ort Franeker. Die 13. 000 Einwohner zählende Stadt wird als die schönste der elf friesischen Städte beschrieben: Von einem Grachtengürtel umschlossen, in dessen Kern sich kleine Häuser aneinander schmiegen, eine schmucke Traumwelt. In der Gracht liegen einige Frachtschiffe: der „Zwarte Ruiter“, dann ein großes Frachtschiff mit drei hohen Masten und ebenfalls den typischen großen Seitenschwertern.
Noch besser gefällt uns der malerische Ort Hindelopen. Er hat gerade 860 Einwohner. Mit seinen schmalen Gassen und kleinen Grachten ist es ein bezaubernder kleiner Ort. Endlich entdecke ich hier auch noch eine hölzerne Zugbrücke. Alles ist eher beschaulich klein und sehr sympathisch. Dabei verhalfen florierende Handelsbeziehungen nach Norwegen und Russland der Stadt im 17./18. Jahrhundert zu einer Blütezeit. Immer wieder gibt es schmale Holzbrücken über die kleinen Grachten. Der Ruf als „friesisches Venedig“ lässt sich sicher darauf zurückführen.


Die Winterabende waren damals lang und so bemalten die Einwohner alles was ihnen in die Finger kam. Es entstand so etwas wie ein Künstlerdorf mit bemalten Haustüren, Fensterläden, Holzschuhen und Möbeln. Zum Glück hat hier das Museum mit einem kleinen Restaurant geöffnet. Als wir – leicht frierend und durchgepustet vom 3 Grad Celsius kalten Wind – eintreten, meint die nette Friesin, dass wir wirklich Glück mit dem guten Wetter haben.
Das Museum ist ein Schlittschuhmuseum und wir bewundern die unzähligen, inzwischen meist rostigen Kufen in den Regalen und Vitrinen. Ein Film über die berühmte Elfstedentocht nimmt uns gefangen. Gut 200 km geht es dabei durch die elf Friesenstädte auf der Natureisbahn der zugefrorenen Grachten in nur knapp sieben Stunden. Statt derartigen Anstrengungen lassen wir uns von der netten Bedienung lieber Apfelkuchen und Kaffee servieren. Dazu gibt es den berühmten Beerenburg. Denn der Friese trinkt Beerenburg, ein 70-prozentiger Kräuterschnaps mit geheim gehaltenen Zutaten. Der ist gut bei 3 Grad Celsius Außentemperatur und lässt uns weiter träumen von einer romantischen Symbiose von Land und Wasser, malerischen aufgereihten Fronten kleiner roter Häuser, Yachten und Frachtschiffen in den Grachten und der Weite der friesischen Landschaft.