Von Mammuts, Höhlenbären und anderen Fleischfressern – Wanderungen in der Eifel

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Fotos: Inna Naumann, Nils Naumann, Detlef Naumann,


Eines Tages werden wir unserem kleinen Enkel von all diesen wilden Tieren und Erlebnissen erzählen, von den großen Mammuts, den furchtbaren Höhlenbären und von der Höhle der Neandertaler, in der die Mammut- und Höhlenbärenknochen gefunden wurden. Aber heute ist der kleine Mann erst knapp drei Monate alt, gut eingepackt in einem Babytragegurt und wird von Papa getragen. Wir sind unterwegs in den Gerolsteiner Dolomiten in der Eifel. Der schmale Pfad durch einen Laubmischwald führt in vielen Serpentinen relativ steil bergauf, so dass wir einige Pausen einlegen müssen.

Als wir plötzlich eine Handvoll Pfifferlinge entdecken, wird es natürlich viel interessanter.
Bald haben wir schöne Ausblicke und nach rund 800 m bergauf und etwa 140 m Höhenunterschied erreichen wir markante Steilfelsen. Es sind wieder einmal Felsgesteine aus dem Devon. Das Urmeer lag hier vor rund 380 Millionen Jahren mit großen Riffen ausgestorbener Meerestiere und Korallen. Heute beeindrucken uns die Dolomitfelsen, Kalkmagerrasen, Gebüsch- und Waldökosysteme. Der Weg führt weiter vorbei an bizarren Felsen mit Höhlen, Vertiefungen und Abbrüchen.

Über eine Treppe erreichen wir die Buchenlochhöhle. Vermutlich war es eine Schutzhöhle bei Jagdzügen der Neandertaler vor rund 30.000 Jahren. Man fand Elfenbeinringe, Feuersteinabschläge, Faustkeile und Steinspitzen von Speeren und Pfeilen. Etwa 30 m lang, 4 m breit und durchschnittlich 2,4 m hoch ist die Höhle, die im Schein unserer Taschenlampen gespenstisch aufleuchtet. Am Anfang ist es etwas steil und glitschig, so dass wir uns mit unserer Babyfracht nicht weit hinein trauen. Im Licht der Taschenlampen sehen wir Kalksinter und Tropfsteine. Schatten und bewegten Lichtkegel lassen die Situation lebendig werden. Schon geht die Fantasie mit uns durch: Die flackernden Lichter verwandeln sich und wir stellen uns vor, im Schein des Lagerfeuers zu stehen und zu beobachten, wie in der weiten Landschaft vor der Höhle die Mammutherden verfolgt von wilden Höhlenbären und Eisfüchsen herumjagen.

(KI – Bilder erstellt mit Canvas.com)
Das Schreien unseres Kleinen ruft uns in die Gegenwart zurück er will gestillt werden.

Bald geht es weiter und wir durchwandern eine Wald- und Felsenlandschaft, die in den Beschreibungen oft als Wanderung durch einen Märchenwald beschrieben wird. Die Munterley, entstanden durch Ablagerungen eines subtropischen Flachmeeres im Devon mit mächtigen Riffen und Korallen, ist heute eine steile und teilweise extrem schroffe Felsformation. Es sind die höchsten Dolomitfelsen in der Region mit einer Höhe von 482 m über NHN. Wir genießen den Ausblick von einer Aussichtskanzel 140 m über dem Flussbett der Kyll. Zwei Ziegen kraxeln unter uns in den Felsen herum. Diese Kletterkünstler sollen die Gehölze durch Verbiss klein halten, um eine Verbuschung zu verhindern. Vor uns liegt die Stadt Gerolstein. Die ca. 8000 Einwohner zählende Stadt ist nicht nur Mittelzentrum in der Vulkaneifel, staatlich anerkannter Fremdenverkehr- und Luftkurort, sondern auch weit bekannt durch seine Mineralbrunnenbetriebe. In dem im Gewerbegebiet liegenden Großbetrieb wird der „Gerolsteiner Sprudel“ gefördert. Der hohe Gehalt an natürlicher Kohlensäure im Mineralwasser ist ein Überbleibsel des abklingenden Vulkanismus.

Ist dieses besondere Wasser vielleicht sogar der Namensgeber dieser einzigartigen Landschaft? Nach den Aussagen der Sprachwissenschaftler stammt der Begriff „Eifel“ von dem keltischen Wortstamm apa, was so viel bedeutet wie Wasser oder Bach. Das lateinische Wort aqua, Wasser, wird hiervon abgeleitet. „Eifel“ bedeutet also „Wasserland“. So gelten bei den Kelten Quellen auf Bergen als heilig und als Zeugen gewaltiger Urkräfte.

Urkräfte waren es auf jeden Fall, die diese Landschaft formten. Durch die komplexen Faltungen und das Verschieben der Erdkruste entstanden Senken und Mulden. Die Gerolsteiner Dolomiten sind Kern einer solchen Kaltmulde, 102 Hektar groß und seit 1990 ausgewiesenes Naturschutzgebiet. 2005 wurde das Gebiet als nationaler Geopark „UNESCO Geopark Vulkaneifel“ anerkannt.

Der Weg führt uns bald durch offene halbtrockene Wiesenbereiche, in denen Kratzdisteln, Wasserdost, Skabiosenflockenblumen und Ackerwitwenblumen wachsen. Bienen, Hummeln und Schmetterlinge wie Schachbrett, Admiral und Bläulinge flattern um die Blüten. Haselbüsche, Weißdorn, Schlehe und Wacholder säumen unseren schmalen Pfad. Wacholder ist für mich immer ein besonderer Baum. Schon die Kelten verehrten Wacholder und sahen ihn als magischen Baum an. Mit seiner Zauberkraft konnte er nach Ihren Vorstellungen sogar die Grenze vom Leben zum Tod überschreiten. Ich nehme mir vor, beim nächsten Gin hierrüber weiter nachzudenken.

Wir erreichen die Papenkaule. Diese Senke hat eine ganz andere geologische Geschichte, die vermutlich sogar unsere Vorfahren miterlebt haben. In der Zeit der Steinzeitbewohner durchbrach vor rund 10.000 Jahren ein Vulkan die Kalkfelsen. Es bildete sich aber kein hochgewölbter Vulkankegel mit Krater und Gipfel, sondern es entstand die heute noch vorhandene Senke im Grundgestein, ein 80 m breiter und 20 m tiefer kreisrunder Vulkankrater. Die Lava suchte sich in dem porösen Kalkgestein andere Wege, trat 300 m weiter westlich vom Explosionsherd erst in der Hagelskaule an die Oberfläche und ergoss sich von dort südwärts ins Kylltal. Das poröse Gestein ist auch der Grund, weshalb sich hier in der Papenkaule kein Kratersee bilden konnte. Der Vulkan Papenkaule gehört zu den letzten Ausbrüchen des quartären Vulkanismus und reicht damit in Zeiten, die für uns deutlich vorstellbarer sind, als die im Devon vor 380 Millionen Jahren entstandenen Kalk- und Dolomitgesteine.

Auch bei unserer nächsten Wanderung tauchen wir wieder in die fast jüngere Geschichte ein. Wir sind unterwegs auf dem Moorpfad von Dahlem. Auf einem Bohlenweg geht es durch das Naturschutzgebiet „In der Wasserdell“ ein Hangmoor. Bis zu 8 m Torfmächtigkeit soll es haben. Bei einer Ablagerung des Torfes von 1 mm pro Jahr liegen also unter uns ca. 8000 Jahre Geschichte. Dahlem liegt im deutsch-belgischen Naturpark Hohes-Venn Eifel und führt durch eine beeindruckende Naturlandschaft.

Über dem kleinen Moorsee fliegen Libellen. Der. See liegt etwas verwunschen neben einem kleinen Erlenbruchwald. Die dunkle Wasserfläche mit den verwachsenen Uferbereichen liegt ruhig vor uns. Es ist eine stimmungsvolle und geheimnisvolle Atmosphäre: Schauergeschichten und Gruselmärchen kommen uns in den Sinn, als wir auf der kleinen hölzernen Plattform auf das Wasser schauen. Wie ein dunkles glänzendes Moorauge reflektiert das Licht zurück, sodass die Flügel der vorbeifliegenden Libellen glitzern.

Der Holzbohlenweg führt teilweise über feuchte Moorstellen. Nasses Torfmoos zeigt an, dass das Moor weiter wächst. Wir entdecken die gelben Blütenstände der Moorlilien, Binsen, Pfeifengras und Faulbaumgebüsche. Die aus dem Faulbaum gewonnene Holzkohle wurde früher zur Herstellung des Schießpulvers verwendet.

Zum Wald hin wird es trockener. Dort blühen Weidenröschen, Besen- und auch Glockenheide. Es ist ein märchenhaft schönes Bild.

Am Ende des Bohlensteges geht es über einen Wurzel-Holperweg etwa 50 m aufwärts und weiter führen geschotterte Waldwege durch Misch- und Nadelwaldgebiete. Unter den Fichtenbeständen sind überall Moospolster und Blaubeergestrüpp zu sehen. Auf den Waldlichtungen und an den Wegrändern wiegen sich noch einige Fingerhutblütenstände in der lauen Brise. Der rote Fingerhut ist eine der wohl bekanntesten Giftpflanzen, aber auch besonders schön und geheimnisvoll. Er taucht in Märchen und Sagen auf. Besonders in englischen und irischen Sagen gehört er zu den geheimnisvollen Pflanzen: Die Blüten dienen dem Volk der Elfen als Kopfbedeckung. Bösartige Feen sollen der Sage nach einst den Füchsen Blüten des Fingerhuts als Handschuhe geschenkt haben, damit diese lautlos in die Hühnerställe eindringen konnten und dort ihr Unwesen treiben konnten. Die Muster in den Blütenkelchen sollen daher von den Fingerabdrücken der unglücksbringenden Feen her rühren.

Auch Theodor Fontane benennt in seinem Roman „Der Stechlin“ den Fingerhut als Symbol des bevorstehenden Lebensendes. Ich bin jedenfalls immer wieder fasziniert von den schönen Blütenkelchen, mögen sie auch giftig sein. Ich muss sie ja nicht essen.

Dafür halten wir immer wieder Ausschau nach essbaren Pilzen, aber entweder ist es denen zu warm, zu trocken oder zu früh im Jahr. Wir finden dieses Mal nur ein paar Flockenstielige Hexenröhrlinge, Samtfußkremplinge, Perlpilze. Wir wissen, dass Flockenstielige Hexenröhrlinge gekocht als hervorragende Speisepilze gelten, aber das blau-schwarze Anlaufen beim Schneiden schreckt uns ab. Mit Hexen und bösartigen Feen wollen wir lieber nichts zu tun haben und so geht es heute ohne Pilze weiter durch den Wald. Nicht ganz ohne Pilze, denn kurz vor dem Ende unserer Tour finden wir noch einen kleinen Pfifferling. Den werden wir uns morgen im Frühstücksrührei brüderlich teilen.

Wie immer bei einer Wanderrunde landen wir wieder am Hangmoor „In der Wasserdell“, unserem Ausgangspunkt und schauen uns noch einen kleinen Moorteil kurz vor dem Moorsee an. Vorsichtig betreten wir eine faszinierende, märchenhafte Hochmoorwelt. Der schmale ausgetretene Pfad gibt unter unseren Füßen leicht nach, es ist feuchter Moorboden. Nicht, dass wir gleich im Moorschlamm versinken, wie es die Mythen berichten. Den Pfad zu verlassen verbietet sich aber, denn direkt neben uns blühen gelbe Moorlilien und die Blütenstände des gefleckten Knabenkrauts tragen noch ihre pinken Blüten. Ein paar Schritte weiter leuchten vor uns im dunklen, nassen Torf die weißen Wattebüschel des Mehrblütigen Wollgrases. Das alles nicht genug entdecken wir auf dem sehr feuchten Moorboden eine Fläche, die bedeckt ist mit Rundblättrigem Sonnentau. Ich fühle mich wie in einer verzaubert Märchenwelt. Für Ameisen und kleinen Insekten muss es hier allerdings eine Horrorzone sein. Der Sonnentau ist eine fleischfressende Pflanze, die auf dem nährstoffarmen Moorboden durch klebrige Tentakeln Insekten wie Ameisen, Mücken und Fliegen fängt und sie als Nahrungsergänzung verdaut. Im Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens von 1932 wird Sonnentau als „edler Widerton“ und als Zauberpflanze beschrieben, dem selbst Hexen und Teufel nicht widerstehen können. Dem merkwürdigen Tauglanz der Blätter, den kleinen Klebetröpfchen, ist es wohl zu verdanken, dass die Alchemisten in ihren astrologischen Spekulationen ihn mit der Sonne in Verbindung brachten.

„Es ist ein Kräuterlein, das nicht nur ein Wunder ist, sondern auch Wunder tut, das macht es, blüht im August, wenn die Sonne im Löwen steht.“ (Frenzel; historia naturalis, Ende des 17 Jahrhunderts). Da haben wir wieder unsere märchenhafte Verbindung zu unserem kleinen Leo. Über die kleinen fleischfressenden Zauberpflanzen hinweg geht der Blick über die trockenren Heideflächen. Jetzt im August leuchten die rosa Glöckchen der Glockenheide und tausenden Blüten der Besenheide. Auch dieses ist ein märchenhaft schöner Anblick, der mich nostalgisch und – wie von Freunden bezeichnet als alter Naturromantiker – immer wieder an das Märchen „Erica“ von Heinrich Paulsen (Neuer deutscher Märchenschatz, Berlin 1905) erinnert. Dieses niederdeutsche Märchen und die darauf fußende von Wilhelm Wisser bearbeitete Oper „Schwarzer Peter“ beinhaltet das Duett der beiden Königskinder „Ach ich hab meinem Herzen da drinnen einen wundersamen Schmerz …“ Auch das werde ich unserem kleinen Königskind, dass ich so gerne im Arm wiege, einmal vortragen. Unsere Runde ist fast zu Ende. Mein Vater hat uns als Kinder immer in solchen Situationen gefragt: „Hast du gehört? Es hat Klick gemacht. Das Ringlein hat sich geschlossen.“

Da wussten wir, es geht bald wieder nach Hause. Auch dieses werde ich bald meinem kleinen Enkel erzählen und in ein paar Jahren spielen wir dann Waldpolizei und das Ringleinspiel. Und ich werde ihm auch das Märchen von den zwei Königskindern und den schönen Heideglöckchen erzählen.