Irisches Küstentagebuch – Einmal um die raue Westecke –

Der Artikel beschreibt eine Kajaktour um die irische Südwestecke, die wir vor vielen Jahren gemacht haben. Es war eine Seekajaktour um eine gewaltige Felsenküste.

Oft wird der Südwesten Irlands als der Botanische Garten der grünen Insel beschrieben – und so wirkt er auch tatsächlich: riesige, üppig blühende Rhododendronbüsche am Ufer, gelbe Blütenmeere der Ginsterbüsche und Fuchsienhecken. Farne, Efeu und Brombeergestrüpp verflechten alles zu einem wilden Urwald, da fehlen an manchen Stellen nicht einmal die Palmen und der Bambusdschungel. Das feucht-milde Klima, vom Golfstrom und Meer geprägt, fordert natürlich seinen Preis: Das Zelt ist kaum aufgeschlagen, da prasselt ein kräftiger Regenschauer herab. Es regnet oft, aber, so behaupten wenigstens die Iren: Täglich scheint auch mindestens einmal die Sonne. Und wirklich, nach 10 Minuten scheint bereits wieder die Sonne. Zwei Iren nutzen die Gelegenheit: „Nice weather today!“, rufen sie uns zu und toben ausgelassen im Wasser des Kenmare River, während wir etwas fröstelnd vor unserem Zelt stehen. „13 °c Lufttemperatur, Westwind Bfd. III, die Wassertemperatur dürfte kaum 10°c überschreiten“, notiere ich ins Tagebuch. „Irre Typen diese Iren“.

Hier im Südwesten der grünen Insel haben wir eine Küstenkajaktour geplant. Wir, das sind dieses Mal Anke, meine Frau, und ich. Meistens sind wir in den Urlauben in Küstenregionen unterwegs. „Salzbuckel“ haben unsere Freunde uns inzwischen getauft. Oftmals wissen wir schon nicht mehr, wer wen zu welchem Urlaubsziel überredete. Aber bei Irland waren wir uns schnell einig: Es sollte nicht so heiß sein wie damals an der türkischen Mittelmeerküste, nicht so kalt wie bei unserer Spitzbergentour und nicht so weit wie in die Wildnis Kanadas – und da ist eben die goldene Mitte sowohl geographisch als auch klimatisch: Irland. Und zum Paddeln steht eine Umrundung einer der Südwestzipfel der Insel auf dem Programm, weil da die Mischung am vollkommensten ist: Küstenregionen, die mit ihren kahlen Felsformationen an arktische Breiten erinnern, einsame und wenig bebaute Uferregionen, aber an vielen Orten Palmen und südlich anmutende Vegetation.

Eine Woche sind wir bereits unterwegs von Deutschland aus über Ostende nach Dover, die Südküste Englands entlang: Folkestone – Hastings – Brighton. Die charakteristischen englischen Reihenhäuser mit den vielen Schornsteinen, Erkern und kleinteiligen Fenstern begeistern mich immer wieder. Zeit zum Aufenthalt haben wir jedoch nicht, an schnellem Vorwärtskommen ist nicht zu denken bei den vielen kleinen Orten und den noch mehr Kreiseln, bei denen das „keep left“ noch schwer fällt.

Wie ganz anders ist das Bild doch in Irland. Der kleine Marktflecken Kenmare an der Südwestküste entpuppt sich als ein geschäftiger Ort, indem wir alles Gewünschte für unsere Paddeltour einkaufen können. Wir schlendern die Hauptstraße entlang vorbei an den Läden der O’Connors, O’Sullivans, O’Brien, O’Donovan, McCaarthy. Die O’s und Mc’s stehen teilweise vor ihrem Läden und plaudern mit den Nachbarn. Kein Einkauf ohne Unterhaltung, und das Wechselgeld wird nicht auf den Tresen gezählt, bevor wir über das Woher und Wohin berichtet haben. Witzige Typen, etwas abgerissen und gelassen passen sie zu ihren Häusern. Dem 1670 gegründeten Ort ist der Zahn der Zeit an vielen Stellen anzusehen und auch die Einstellung kollidiert mit deutschem Ordnungssinn. Als wir bei einer witzigen Postnebenstelle Briefmarken kaufen, erfahren wir, dass die irische Post schon seit 15 Wochen streikt.
„Ich habe da schon seit sieben Wochen zwei Briefe im Briefkasten liegen“, erzählt die alte Irin. „Sie können Ihre natürlich gerne dazulegen, aber ich fürchte, die Briefe werden schneller in Deutschland sein, wenn Sie sie selber dorthin mitnehmen.“
Für Gesprächsstoff ist gesorgt. Schnell wird die Diskussion um den Streik hitzig. Die O’s und Mc’s haben es uns angetan, wir lassen uns gerne für den Rest des Tages in Gespräche verwickeln, schimpfen mit ihnen auf das 20. Jahrhundert, die moderne Zeit und den Stress bei einem – zugegeben, es werden drei Guinness –  klappt das sogar in fließendem Englisch, oder bilde ich mir das nur ein?

Es gibt wahrscheinlich Gegenden, die typischer für Irland sind, Connemara vielleicht, oder Donegal; hier werden jedoch die Gegensätze in der Landschaft besonders deutlich. Wie fünf Finger strecken sich hier im Südwesten große Halbinseln in den Atlantik. Raue, von ständigen Westwind und der Brandung geprägte Felsen. Dazwischen tief eingeschnittene Buchten, Fjorde: Handschriften der gewaltigen Eismassen der Quartär-Gletscher.

Aber nicht an Eis und Gletscher denken wir bei unserer Ankunft in Glengarriff. Hier in der geschützten Bantry-Bay ist die Erinnerung an die Eiszeit schnell dahin geschmolzen. Die üppig blühenden Fuchsien- und Rhododendronhecken innerhalb der Ortschaft werden noch übertroffen durch die Fülle exotischer Pflanzen in den italienisch anmutenden Gärten auf „Garinish Island“.

Glengarriff – AnGleann Garbh – raue Bucht. Der Wolkenvorhang hat sich noch verdichtet. Unser Zweierkajak, ein Lettmann-Ozean-Typ, der sich durch seine Seetüchtigkeit, Schnelligkeit und sein Fassungsvermögen bereits in extremen Küstengebieten hervorragend bewährt hat, liegt tief im Wasser mit Ausrüstung und voller Verpflegung für zehn Tage.

Wir passieren einige Klippen, die raue Bucht hat uns schon im Griff. Kräftiger Gegenwind, kahle graue Felsen, die Gedanken an die exotische Vegetation verfliegen wie im Traum, irische Gegensätze.

Silbermöwen und Krähenscharben hocken auf den Felsen, drei Robben aalen sich in Ihrer Nähe, drei weitere beäugen uns neugierig und umkreisen uns in sicherer Entfernung. Die Ufer werden einsamer. Eine Ringstraße, ähnlich in dem „Ring of Kerry“, führt auch um diese Halbinsel, aber aus der Paddler-Perspektive sieht es einsam und unberührt aus. Vom Wasser können wir die Bergwelt der Caha Mountains bewundern. Kahle, von Deckenmooren überzogene, nahezu baumlose Berge, die bis zu 700 m hoch sind. Auch die Hügelketten auf der anderen Seite der Bay liefern ein ähnliches Bild, eine Landschaft, auch für einsame Bergwanderungen geeignet. Auf der anderen Uferseite durchbrechen die gewaltigen Ölterminalanlagen auf Whiddy Island dieses Landschaftsbild. Ausgebaut für 300 000 Tonnen Tanker ist die Anlage auf Whiddy die erste ihrer Art in Europa. Zum Glück ist die Bantry Bay ca. 6 km breit in diesem Teil und die Hektik der Industrieanlagen liegt in weiter Ferne auf der anderen Uferseite.

Der Atlantik ist zwar noch rund 30 km entfernt eine lange Dünung macht sich bei dem kräftigen Westwind jedoch auch hier schon bemerkbar und jeder Paddelschlag bringt uns nicht nur weiter in Richtung offene See, sondern auch in rauere Gefilde. Sahen wir zum Beginn der Fahrt an vielen Stellen noch reichlich schöne Buchten und geeignete Zeltmöglichkeiten, so ändert sich das Bild jetzt erheblich. Rund 10 m hohe Felsenklippen säumen das Ufer. Da wir mit dem Ebbstrom seewärts gepaddelt sind, landen wir schließlich zwischen Seepocken bewachsenen Klippen an. Aber ehe das Zelt steht, ist es noch eine arge Schufterei, Kajak und Ausrüstung zunächst vor der Brandung zu schützen und dann alles flutsicher die Felsen hoch zu wuchten. Hier oberhalb der Klippen ist alles grasbewachsen, Weiden sind durch Einfriedungen aus aufgeschichteten Steinwällen getrennt. Von den besonderen steilaufragenden Felsen in der Nähe schallt ein rauhes Krächzen herüber: Eine kleine Brutkolonie von Krähenscharben, die jetzt im Juni ihre Jungen hudern. Mantel- und Silbermöwen fliegen in der Umgebung herum, durchbrechen mit ihren Rufen das Rauschen der anbrandenden Dünungswellen. Durch das glasklare Wasser des Atlantiks wirkt die Uferregion wie ein großes Aquarium: Algen, Muscheln, Tang, Seeigel, Seesterne, Seerosen, Krebse und kleine Fische, eine reichhaltige Unterwasserwelt.

Um nicht nur die Paddlerperspektive zu erleben, sind wir am nächsten Tag zu Fuß unterwegs. Die Weideflächen ziehen sich nur am Ufer dahin, danach karge, oftmals sumpfige Moorflächen. Sumpfgräser, Wollgras, Heide, Torfmoos, Farne, Ginster bildet die grüne Pflanzendecke. Mit einem Spaten-ähnlichen Werkzeug ist ein Ire in der Nähe damit beschäftigt, Torf zu stechen, 20 cm tief, dann stößt er auf den gewachsenen Fels. Die Unterhaltung ist mehr ein Radebrechen. Ob wir Engländer seien, fragt er mich, und das bei meinem Englisch. Mein Gesprächspartner spricht offenbar mehr Gälisch, aber da bin ich mit meiner Kunst am Ende. Ein Ire hütet in einiger Entfernung einige Kühe und zwei Esel, ein seltsamer Anblick in dieser Umgebung, jedoch nicht unüblich. Denn hier einmal eingeführt, haben sich diese genügsamen Tiere bestens bewährt. Ansonsten ist die weite Einöde durch kaum etwas unterbrochen. Stunde um Stunde sind wir unterwegs, die Weite und Einsamkeit dieser Landschaft ist beeindruckend.
Regen, und alles in grau, das ist die Situation kurz vor dem Start zur nächsten Etappe. In jedem anderen Land wäre die Wettersituation hoffnungslos, in Irland ist das Wetter jedoch so unbeständig, dass nicht einmal das schlechte Wetter lange andauert.
„Schön, dass es beim Frühstück regnet, dann scheint bei der Abfahrt wenigstens die Sonne“, ulke ich, und tatsächlich. Nach dem Frühstück hört es auf zu regnen, und als ich als letztes das Zelt abbaue, ist es schon wieder trocken.
Die Küste bleibt weiterhin rau, sie scheint in ihrer kargen, abweisenden und unzugänglichen Art gar nicht zu den dahinter beginnenden, eher sanft geschwungenen, grün überwachsenen und in allen Teilen zugänglichen Landschaftsformen zu passen. Teilweise sind die Klippen bis zu 20 m hoch und so steil, dass ein Anlanden unmöglich ist, da die Brandung direkt an die Felsen donnert. Das Getöse und Rauschen ist beängstigend, besonders bei Shot Head. Hier donnert die Dünung mit solcher Wucht gegen die seilen, dunklen Felsen, dass wir uns in unserem Kajak ganz klein und hilflos vorkommen. Die Machtlosigkeit des Menschen den Naturgewalten gegenüber wird uns wieder einmal deutlich. Der Maßstab, durch technischen Fortschritt oft missachtet, wird hier zurecht gerückt. In respektvollen Abstand halten wir uns außerhalb der gefährlichen Brandungsgürtel und erleben die Gewalt des Wassers nur immer wieder durch das Rauf und Runter der langen Dünung, deren Spielball wir sind.

Der weiße, große Leuchtturm auf der Insel Roancarrigmore ist schon von weitem als Wegweiser zu sehen. Über die vorgelagerten Klippen donnert auch hier die Dünung. Kein Wunder, dass bei diesen gefährlichen Klippen das Fahrwasser gut markiert ist. Die 300 000 Tonnen Tanker müssen sicher den Weg bis Whiddy Island finden.

Wir paddeln durch den Baer Haven, einen bis 2 km breiten Sund zwischen der Halbinsel und Baer Island. Das Wasser in dieser schmalen Durchfahrt ist absolut ruhig. Mit dem Fernglas beobachte ich in Gryllteiste, Lummen und Basstölpel. Diese Vögel kennen wir eigentlich von den nordischen Küstenregionen, hier sind es bei einigen Arten die südlichsten Brutgebiete. Die Uferbereiche werden belebter, um nicht zu sagen zersiedelter. Der Ort Bearhaven erstreckt sich über einige Kilometer am Ufer entlang. Am Ende des Sundes suchen wir eine Zeltmöglichkeit. Es soll unsere Startposition zum Umrunden der Südwestecke Europas sein. Ohne Schwierigkeiten finden wir bei dem alten Schloss Dunboy Castle in einer geschützten Bucht eine gute Zeltmöglichkeit. In vielen Uferbereichen macht sich zwar die Nähe zum Ölterminal auf Whiddy Island mit verölten Stränden und Ölklumpen bemerkbar, aber unser unsere Bucht ist weitgehend davon verschont.

Eine Fischereiflotte von Bearhaven hat offensichtlich vor der Küste gefischt, Schwärme von Möwen und anderen Seevögeln umkreisen die abends heimkehrenden Schiffe. Kreischend stürzen sie sich auf die von den Fischern über Bord geworfenen Abfälle. Das Meer ist sicher einer der bestimmenden Faktoren für die grüne Insel. Trotzdem, nur wenige Iren fühlen sich mit dem Meer verbunden. Die wenigsten ihren können schwimmen, so meint James und verweist stolz darauf, dass er es gelernt habe. Aber das Seefahren und Fischen ist nicht ihre Sache. Oft sind wir auf unserer Tour an küstennahen Orten vorbeigepaddelt, ohne ein Boot oder Bootsanleger gesehen zu haben. Und so wird die Mine von James auch reichlich skeptisch, als er von unseren weiteren Planungen hört: Bleibt die Wetterlage so ruhig wie bisher, wollen wir morgen die Umrundung der Westspitze der Halbinsel wagen.

Bei Tee mit einem kräftigen Schuss Whiskey – der echte irische mit „ey“ zählt hier zu den Grundnahrungsmitteln – verbringen wir den Abend vor dem Zelt mit Tagebuch schreiben. Unser Blick gleitet hinüber zu dem alten Schloss. Das Castle, Zeugnis der kriegerischen Vergangenheit und Hauptsitz der O’Sullivan Baere, dem Symbol für das Aufbäumen der Iren gegen die drohende Unterdrückung.

„Da bekomme ich ja Albträume“, protestiert Anke als ich an die grausam blutigen Kämpfe erinnere, welche damals 1602 besonders hier um das Schloss ihren Höhepunkt fanden. 140 Verteidiger standen 4000 Belagerungen gegenüber, die Situation war aussichtslos, es kann keiner davon. Nicht nur diese grausamen Geschichten der Vergangenheit sondern auch das vor uns liegende dicke Ende unserer Paddeltour sind Gründe für einige unruhige Träume in dieser Nacht.

Etwas appetitlos frühstücken wir und obwohl nur Anke es offen zugibt und ich es nur dem Tagebuch anvertraue: Der Atlantik zehrt schon jetzt an unseren Nerven.
Bei Seegang verlassen wir den engen Sund, lassen den weißen, mächtigen Leuchtturm bei Shee Head links liegen und steuern weiter gen Westen. Wo ist unser Ziel Crow Head? Ist es die Felsnase draußen vor uns? In dieser weiten Landschaft verschwinden die Maßstäbe die Wassermassen des Atlantik, die hier zum ersten Mal von Amerika strömend wieder auf festes Land treffen geben ihre Allmacht nur unwillig auf. Strömung, Wellenreflexion und der ständig wehende Wind lassen eine ständige Kabbelsee entstehen. Wie ein Spielball des Atlantiks werden wir von den steilen, kurzen Kabbelwellen hin und her geworfen, eine lange rund eineinhalb Meter hohe Dünung bringt einen Fahrstuhleffekt hinzu, welcher typisch für derartige Küstentouren ist: Wellentanz mit Nervenkitzel. Auf der einen Seite, knapp 20 km noch in Richtung Westen ins Meer hinausragend bis zu 200 m hohe Felssteilküste, westlich vor uns, das nächste Land: Labrador – rund 3600 km offenes Meer. Winzig kommen wir uns vor, bei solchen Dimensionen verschwinden die Maßstäbe.

Donnernd bricht sich die Atlantikdünung an den schwarzen Felsen, noch einmal demonstriert die See ihre Energie und Wucht, welche hinter diesen Bewegungen steckt. Wir halten uns in respektvoller Entfernung, die senkrechten Steilfelsen und die gefährlich vorgelagerten spitzen Klippen nehmen uns ohnehin das Gefühl, im Ernstfall das rettende Ufer in der Nähe zu haben. Immer wieder sehen wir von Zeit zu Zeit Vertrautes: Einige Häuser hoch auf den Felsen über uns, unerreichbar allerdings von hier unten. Vor uns tauchen steile schwarze Felsen auf, ist es unser Ziel Crow Head? Es brist leicht auf, noch kabbeliger und rauer wird es. Auf den Wellen zeigen sich die ersten weißen Schaumkronen. Vor uns liegt doch noch nicht Crow Head, sondern es sind erst die Felsen von Black Ball Head und White Ball Head. Dazwischen liegt eine Bucht, in der wir anlanden könnten, aber unser Ziel, das Ende der Halbinsel, liegt noch rund 8 km vor uns. Bei dem Gegenwind sind es noch anderthalb Stunden Schufterei.

Wir befinden uns hier an der äußersten Westecke Europas. Die Blasket-Islands, die kleine Inselgruppe vor der Dingle-Halbinsel, stellt den westlichsten Punkt Europas da, sieht man einmal von Island und den Azoren ab. Nur wenige Kilometer ragen die Blaskets weiter gen Westen als unsere Halbinsel. Unsere Wegbegleiter an dieser rauen Atlantikküste scheinen sich wohler zu fühlen, je mehr der Wind aufbrist. Eissturmvögel, Bassttölpel und Dreizehenmöwen umkreisen uns, segeln in den Aufwinden um die schwarzen Felsen.

Einmal um die raue Westecke!

Die Felsklippe vor Crow Head sieht aus wie ein großes Dreieck. Langsam tasten wir uns heran. Der Seegang nimmt noch etwas zu, als wir endlich die dunklen, bizarren Felsen bei Crow Head passieren. Vor uns liegt eine weite Bucht und der Dursey Sund, der eigens dafür geschaffen scheint, dass wir nicht noch 8 km um die Dursey Insel und Dursey Head überstehen müssen. Es fängt an zu nieseln, als wir durch den schmalen Sund paddeln. Ein kleines Boot mit Anglern, die uns etwas erstaunt ansehen, liegt mitten im Sund. Erleichtert, jetzt geschütztere Bereiche erreicht zu haben, rufen wir Ihnen eine Begrüßung zu und sind erstaunt, eine deutsche Antwort zu hören. Irland ist eben auch ein Anglerparadies für deutsche Touristen.

Schwarze, steile Felsen sind es auch hier, aber jetzt ist es die Leeseite. Nur noch die lange Dünung zeigt die unmittelbare Nähe des Atlantiks an. In der Garnish Bay in der Nähe eines Anlegers finden wir eine gute Zeltmöglichkeit. Auf der Suche nach Trinkwasser spreche ich einen der in der Nähe an seinem Schiff arbeitenden Fischer an: „Where is your boat?“, meint er mit zweifelnden Blick auf unsere Nussschale. Ich muss ihm erst unsere Tour und die weiteren Möglichkeiten von Seekajaktouren erklären, ehe er mir beschreibt, wo ich Trinkwasser erhalten kann. Währenddessen legt das kleine Boot mit den drei Anglern an, ausgerechnet Deutsche aus unserer alten Heimatstadt Bremerhaven. Da unsere neuen Bekannten demnächst zurück nach Deutschland reisen müssen, werden wir auch endlich unsere Briefe los, die wir immer noch mit uns herumtragen. Es ist klar dass wir zum Fischessen eingeladen werden, zumal wir die Kochausrüstung und unseren Whiskey dazu beisteuern können. Barsche, ein etwa 1 m langer Lengfisch, Pollak und andere Arten haben sie gefangen. Nur ein kleiner Teil davon verschwindet nach und nach in unseren Bratpfannen, genug für ein wahres Festessen unter unserem Vorzelt.

Noch am nächsten Tag riecht das ganze Zelt wie eine Fischbratküche. Von unserem Platz in der Garnish Bay geht der Blick in das Gebiet das jetzt noch vor uns liegt: der Kenmare River, die mittlere der drei großen Buchten. „Strahlender Sonnenschein, nur vereinzelt Wolken, 18 bis 19 Grad Celsius im Schatten, ein Tag ohne Regen“, notiere ich in meinen Tagebuch. Aufgrund der guten Witterung können wir es sogar wagen, die riesige Bucht von Cod´s Head großzügig abzukürzen und direkt zu überqueren. Auf der Karte sieht diese Landzunge fast noch schlimmer aus als der Felsvorsprung bei Black Ball Head. Cod´s Head ragt ebenso bedenklich weit in den offenen Atlantik vor. Die Felsküste sieht aus der Paddlerperspektive entsprechend aus. Die leichte Dünung, die an die Felsen brandet, sorgt auch hier für eine, wenn auch weit harmlosere Atlantik-Atmosphäre.

Stellen mit Sandstrand leuchten auf, meistens jedoch dunkle Steilfelsen. So geht es weiter auf der Nordseite der Halbinsel. Allmählich wird es gemäßigter, flacher, der Fjord wird wieder enger. Nicht mehr Heads, sondern nur noch Points werden die Endpunkte der Landzungen genannt: Reemore Point, Kilcatherine Point. Im Schutz der Bucht verliert der Atlantik seine Rauheit. In seinem hinteren Teil wirkt der Kenmare River tatsächlich kaum noch wie ein Fjord, viel mehr wie ein See oder breiter Fluss.

Es liegt wohl an dem ruhigen Wasser, dass uns heute so viele Quallen im Wasser auffallen, ganze Schwärme segeln unter unserem Kajak hindurch. Einige Robben beobachten uns aus der Entfernung. An den großen Rückenflossen erkennen wir einen Trupp Tümmler, der mit uns in die Bucht hineinzieht. Ich entdecke rund 40 Basstölpel, die einen Fischschwarm verfolgen. Sie kreisen über dem Wasser, schießen dann wie Pfeile auf ihre Beute, dass das Wasser hoch aufspritzt. Mich erinnert diese Beobachtung an Erlebnisse an der schottischen Ostküste. Eine Sturmfahrt im Kajak zum Bass Rock brachte mich in eine der größten Basstölpelkolonien Europas, wo ich diese großen weißen Vögel zum Greifen nah vor mir beobachten konnte. Basstölpel, Möwen, Trottellummen, Tordalken und Krähenscharben, nordische Seevogelarten, die gar nicht mehr so recht zur üppigen Vegetationen aus Ginster, Rhododendron und Fuchsien passen wollen. Nur zwei Paddeletappen benötigen wir noch, um das Ende des Kenmare River zu erreichen. Hier im inneren Gebiet der Bucht erinnert nichts mehr an die kahle, abweisende Felsküste. Fast fühlen wir uns mit unserem seetüchtigen Kajak und der Ausrüstung mit Spritzdecken, Karten, Kompass, der Notausrüstung etwas fehl am Platz, als uns einige Kinder in einem kleinen Ruderboot fröhlich entgegenrudern. Wenig später unter den Palmen von Kenmare blättere ich beim lang vermissten Guinness noch einmal im Tagebuch, die Gedanken an die raue Westecke kommen uns vor wie die Erinnerung an ein Land weit im Norden –  irische Gegensätze.